Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Hartenstein

Hartenstein

(1) Durch einen Nebenfluss der Zwickauer Mulde getrennt thronte die spätmittelalterliche Burg H. auf einem Bergsporn über dem Thierfelder Bach, während sich das Stadtareal vom Talgrund den gegenüberliegenden Nordwesthang hinauf erstreckte. Hier führte eine von Halle/Leipzig über Altenburg und Zwickau nach Böhmen verlaufende Verkehrsverbindung vorbei, die der Stadtentwicklung wichtige Impulse gab.

Mit der reichsunmittelbaren Grafschaft H. wurden wohl schon um 1170 die Meinheringer belehnt, die als Burggrafen von Meißen (seit 1199) und Herren der Burg Frauenstein (seit 1329) allerdings vorzugsweise in diesen Besitzungen residierten und H. nur gelegentlich aufsuchten. Durch Verpfändung gelangten 1406 die Herren von Schönburg (seit 1700 Gf.en; seit 1790 eine fürstliche Familienlinie) in den Besitz der Grafschaft, deren Umfang sich 1559 nach Abtretungen an den sächsischen Kurfürsten August (1526–1586) etwa halbierte. 1740 wurde H. zusammen mit weiteren schönburgischen Besitzungen unter Beibehaltung zahlreicher landeshoheitlicher Befugnisse nach Kursachsen eingegliedert. Die letzten Sonderrechte gingen 1878 verloren.

Mit dem Dynastiewechsel erlebte H. eine Aufwertung als Residenzort. Längere Aufenthalte der regierenden Schönburger sind vor allem für das 15. Jahrhundert bezeugt. Von 1582 bis 1786 fungierte das Schloss nahezu ununterbrochen als Hauptresidenz der Familienlinie Schönburg-H., danach als Witwensitz.

(2) Zur Keimzelle H.s wurde eine im Schutz der Burg angelegte Versorgungssiedlung. Aus ihr entwickelte sich die Niederstadt. Hangaufwärts kam es zur Gründung der Oberstadt mit ansteigendem quadratischen Marktplatz und vier abgehenden Gassen. Wann dies geschah, ist in der Forschung umstritten. Die Erwähnung von Einkünften für eine Kirche 1367 und die Bezeichnung als stetlin 1378 legen eine Stadtgründung in der Endphase der meinheringischen Herrschaft nahe. Schenkungen der Herren von Schönburg ermöglichten später mehrere Erweiterungen des Stadtareals.

Als eine der kleinsten sächsischen Städte zählte H. um 1550 wohl nur 250 Einwohner. Als die Stadtherren in dem Bestreben, ihren Residenzort aufzuwerten, seit dem 18. Jahrhundert immer großzügigere Vergünstigungen für Zuzügler gewährten, stieg die Bevölkerungszahl kontinuierlich an. Um 1700 sind etwa 500 und um 1800 etwa 1300 Einwohner anzunehmen. Die Zahl der Bürgerhäuser erhöhte sich zwischen 1702 und 1750 von 68 auf 109.

Die seit der Gründung bestehende starke Abhängigkeit H.s von den Stadtherren blieb bis ins 19. Jahrhundert erhalten. Eine Ratsverfassung konnte sich nicht ausprägen. Die Verwaltung oblag einem Richter, dem zwei (zeitweise drei) Beisitzer (Schöppen) zur Seite standen. Die Stellenbesetzung nahmen die Stadtherren vor. Ein Vorschlagsrecht besaß die Stadt nur bei der Ernennung des Stadtkämmerers und der beiden Viertelsmeister (je einem für Ober- und Niederstadt). Alle wichtigen gerichtlichen und administrativen Befugnisse lagen in den Händen des herrschaftlichen Amtmanns. Im 18. Jahrhundert wurde lediglich die niedere Polizeiaufsicht von den Stadtgerichten ausgeübt.

Die Normierung des städtischen Lebens erfolgte über eine Polizeiordnung, die Otto Ludwig von Schönburg (1643–1701) 1691 für die gesamte Herrschaft erließ, und die Vorbild für spätere Ordnungen wurde. Die zielgerichtete schönburgische Wirtschaftspolitik bescherte der Stadt seit dem 16. Jahrhundert einen merklichen Aufschwung. So wurde das gesamte Innungswesen der Grafschaft mit Ausnahme der Stadt Lößnitz in H. zentralisiert. Die ältesten Innungsbriefe sind für die Schneider (1584), eine Gemeinschaftsinnung (Fleischer, Bäcker, Schuster u. a., 1585), die Zeug- und Leinweber (1650) und die Tuchmacher (1685) überliefert. Um 1800 werden etwa 30 Handwerkszweige genannt. Das geltende Steuer- und Abgabensystem bevorteilte Handwerk und Gewerbe gegenüber der bäuerlichen Bevölkerung. 43 Häuser besaßen das Braurecht und waren seit 1536 in einer Braugenossenschaft organisiert. Ein Brauprivileg von 1684 und rigorose Bierzwangrechte regulierten die städtische Bierproduktion in Abgrenzung zur Schlossbrauerei. Die Bewilligung dreier Jahrmärkte (1564, 1645, 1687) und eines Wochenmarktes (1607) lässt die Absicht der Stadtherren erkennen, ihre Residenz zum florierenden Handelsplatz zu machen. Die Einnahmen aus Marktgebühren wurden zwischen Stadt und Herrschaft geteilt.

Ungeachtet seiner überregionalen Beziehungen deckte der Hof einen beträchtlichen Teil seines täglichen Bedarfs in der Stadt. Da der streng funktional ausgerichtete Hofstaat um 1750 nur 18 Personen umfasste, wurden viele Dienstleistungen von der Bürgerschaft erbracht, wie etwa die Tätigkeit des Baders als Hofbarbier belegt. Die Bewirtschaftung des Schlossvorwerks, der Schäferei und einer um 1710 bestehenden botanischen Sammlung (Orangerie) erfolgte zum Großteil aus Frondiensten.

Eine finanzkräftige Oberschicht fehlte mit Ausnahme einiger feldbegüterter Einwohner und herrschaftlicher Amtsträger. Das vorherrschende Textilgewerbe wurde von kleinbürgerlichen Schichten getragen.

(3) In vorreformatorischer Zeit gehörte H. zum Bistum Naumburg. Mitte des 14. Jahrhunderts erfolgte die geistliche Versorgung der Burg wohl noch wesentlich von Lößnitz aus, wie die Nennung des dortigen Plebans als Schreiber und Burgkaplan (1344, 1356–1362) nahelegt. 1367 ist erstmals von einer Kirche die Rede, die bis 1865 ein Kirchspiel mit der Mutterkirche Thierfeld bildete. Der Pfarrer wohnte im Dorf Thierfeld, die Stadtkirche (Unser lieben Frauen) erhielt 1588 einen Diakon. Vier Jahre zuvor hatte Hugo II. von Schönburg (1559–1606) aufgrund theologischer Differenzen mit dem Pfarrer einen eigenen Hofprediger angestellt. Diesem wurde später die Pfarrstelle und die Funktion eines Kircheninspektors der Herrschaft H. übertragen. Die zusätzlich zum Stadtgottesdienst abgehaltenen Hofbetstunden fanden ihren Ort in der 1696 geweihten Sophienkapelle im Schloss.

Der Übergang zur Reformation begann 1538/39 ohne herrschaftliches Zutun und wurde 1542 von den Herren von Schönburg bestätigt. Ihrem Patronat unterstanden alle geistlichen Stellen. Auch traten sie als Initiatoren und Geldgeber für Umbauten (1565, 1588–1615) in Erscheinung. Um die Stiftung des Kircheninventars wetteiferten Stadtherren, herrschaftliche Amtsträger und städtische Innungen gleichermaßen. Der herrschaftliche Beitrag wird exemplarisch an der Schenkung einer golddurchwebten Altarbekleidung durch Gf.in Magdalena Sophia 1737 deutlich.

Das städtische Schulwesen lässt sich bis 1543 zurückverfolgen. Eine vorreformatorische Kapelle »am Anger« wurde 1539 in ein Siechenhaus umgewandelt.

(4) Hinsichtlich ihrer Größe und Ausstrahlung blieb die Stadt hinter anderen Residenzorten zurück. Architektonisch bestand ein Ungleichgewicht zugunsten des wuchtigen Schlosskomplexes. Eine Ummauerung fehlte. Gleichwohl bemühte sich die Bürgerschaft um die Schaffung eines repräsentativen Stadtzentrums. Nach einem Stadtbrand 1624 entstand das Marktensemble neu. Das Rathaus in der Marktmitte wurde 1664 vollendet. Die flankierenden Bürgerhäuser prägte fränkischer Fachwerkstil. Das erhaltene Gasthaus »Weißes Roß« gilt heute als einer der bedeutendsten Fachwerkbauten Sachsens.

Konzentrationspunkte herrschaftlicher Repräsentation in der Stadt stellten das Amtshaus, das auf Thierfelder Flur gelegene Forsthaus für den herrschaftlichen Wildmeister und die Kirche dar. Das Amtshaus am Markt wurde 1789 aufgegeben, die herrschaftliche Verwaltung zog ins Torhaus des Schlosses. Die Stadtkirche mit dem benachbarten Pfarrhaus und der alten Schule bildete das sakrale und kulturelle Zentrum der Stadt, aus dem Gelehrte wie Paul Fleming (1609–1640) und Gottfried Benedikt Funk (1734–1814) hervorgingen. Die Stadtkirche beherbergte das schönburgische Erbbegräbnis, das auf Hugo II. zurückging und von 1606 an 20 Familienangehörigen eine Ruhestätte bot. Die Gruft wurde 1869 geschlossen.

Zur Huldigung beim Herrschaftsantritt des Stadtherrn wurde die Bürgerschaft in den Schlosshof einbestellt.

(5) Während des Spätmittelalters stand H. im Schatten der befestigten Nachbarstadt Lößnitz, die das eigentliche urbane Zentrum der Grafschaft bildete. Erst mit der dauerhaften Präsenz der Schönburger zog das Gemeinwesen wirtschaftliche und administrative Zentralfunktionen an sich. Das herrschaftliche Amt war 1702 für die Stadt und 15 Dörfer zuständig.

In H. tagte das Landgericht der Grafschaft Hier wurden auch die Todesurteile, z. B. an mehreren Rädelsführern des Bauernkriegs 1525, vollstreckt. Anlässlich der Hinrichtung eines Mörders 1767 opponierte die Bürgerschaft gegen die gängige Gerichtspraxis und forderte mit Erfolg, die Exekution vom Markt nach außerhalb der Stadt zu verlegen.

Enge Marktbeziehungen unterhielt H. in das benachbarte Zwickau. Als Durchgangsstation von Salztransporten nach Böhmen zogen Stadt und Herrschaft Gewinn aus dem überregionalen Handel. Aufgrund der beziehungsreichen Stellung der Schönburger im dynastischen Gefüge Mitteldeutschlands und der Attraktivität der Region als Jagdgebiet erfreute sich der Hof häufig adliger, auch fsl.er Besucher. Die Rückwirkungen auf die Stadt bleiben zu untersuchen.

(6) Als Kleinresidenz konnten Stadt und Schloss nur begrenzt politisches Gewicht und Ausstrahlung entfalten. Die starke Dominanz der Stadtherren gab H. ein deutlich herrschaftliches Gepräge. Dem Gestaltungswillen der Bürgerschaft verblieben nur enge Spielräume. Ein städtisches Selbstbewusstsein konnte sich daher kaum entwickeln. Als handlungsleitendes Motiv der Herren von Schönburg ist über die Jahrhunderte hinweg eine patriarchalische Fürsorgepflicht erkennbar, die sich ordnungspolitisch, sozial und wirtschaftlich bemerkbar machte. Der Konkurrenzsituation mit den Städten der Nachbarschaft konnte durch die Residenzfunktion jedoch nur bedingt, seit dem Industriezeitalter kaum noch, begegnet werden. An Konflikten mit der Herrschaft nahm die Stadt wenig Anteil, da diese sich zumeist an bäuerlichen Abgabenpflichten entzündeten.

(7) Ungedruckte Quellen finden sich vor allem im Staatsarchiv Chemnitz, namentlich in den schönburgischen Urkunden (Bestände 30569, 30570, 30571) sowie in den Beständen Schönburgische Gesamtregierung (30572), Rechnungsarchiv (30573) und Herrschaft Hartenstein (30584). Eine eigene Abteilung bilden die Gerichtsbücher der Stadt (Bestand 12613) mit einer Überlieferung ab dem ausgehenden 16. Jahrhundert.

Schön, Theodor: Geschichte des Fürstlichen und Gräflichen Gesammthauses Schönburg. Urkundenbuch, 8 Bde., Nachtragsbd., Stuttgart/Waldenburg 1901–1910 (umfangreich, in Einzelheiten fehlerhaft).

(8)Märcker, Traugott: Das Burggrafthum Meißen, Leipzig 1842. – Bönhoff, Leo: Der ursprüngliche Umfang der Grafschaft Hartenstein, in: Neues Archiv für sächsische Geschichte 27 (1906) S. 209–278. – Oertel, Richard: Bausteine zur Geschichte der Stadt Hartenstein und deren Umgebung, 5 Hefte, Hartenstein 1924/25. – Müller, Schönburg (1931). – Schliesinger, Landesherrschaft (1954). – Röber, Wolf-Dieter: Schönburgische Burgen und Schlösser im Tal der Zwickauer Mulde, Beucha 1999, S. 16–22. – Wetzel, Michael: Das schönburgische Amt Hartenstein 1702–1878. Sozialstruktur – Verwaltung – Wirtschaftsprofil, Leipzig 2004 (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde, 10). – Wetzel, Michael, Troll, Gerhard: Die Meinheringer und Lößnitz. Herrschaft und Stadtentwicklung im Mittelalter, Lößnitz 2013, S. 30–47.

Michael Wetzel