Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

Return to list

Lobenstein

Lobenstein

(1) L. liegt am östlichen Rand des Thüringer Schiefergebirges im Tal der Lemnitz und des Koselbaches im oberen Saalegebiet. Ausgangspunkt für die Entstehung der städtischen Siedlung war die Errichtung einer an der Handelsstraße von Nürnberg nach Leipzig gelegenen Burganlage durch die Herren von Lobdeburg in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Der Ortsname ist erstmalig in einer 1250 vom Bamberger Bischof besiegelten Urkunde im Zusammenhang mit der Nennung eines Otto von Lobenstein überliefert. Dieser gehörte zur vielverzweigten Familie der Herren von Lobdeburg, welche den Ausbau ihrer Herrschaft im mittleren und oberen Saaleraum (von ihrem Hauptsitz in Lobeda bei Jena aus) in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts vorantrieben. Beim Aussterben der lobdeburgischen Linien gelangte L. noch vor 1276, vermutlich als Erbteil der Lobdeburgerin Leukardis, an Heinrich I. von Gera. Im politischen Spannungsgefüge zwischen Kaiser, Reich und regionalen Territorialgewalten behaupteten die Vögte von Gera auch im weiteren Verlauf des 14. Jahrhunderts ihre Herrschaft über das L.er Gebiet. 1371 gelangte L. auf kaiserliche Initiative in böhmische Lehensabhängigkeit. Ein Teilungsregister aus dem Jahr 1509 informiert über den Umfang der Herrschaft. Nach dem Aussterben der Vögte von Gera 1550 fiel die Herrschaft L. an die bggfl.-meißnische Linie der Vögte von Plauen, nach dem Tod des letzten Burggrafen von Meißen ohne männliche Erben 1572 an die Herren von Reuß(-Greiz). Nachdem L. bereits 1598 und 1610 zeitweise als Residenzort genutzt worden war, verlegte Heinrich Posthumus als erster Angehöriger aus dem Haus Reuß 1611 seinen Herrschaftssitz nach L. Nach der von den Söhnen Heinrichs Posthumus initiierten Landesteilung von 1647 behielt L. seine Funktion als Sitz einer eigenen reußischen Haushaltung bei. Bis 1824 residierten hier die Mitglieder der ab 1673 reichsgfl.en und 1790 in den Fs.enstand erhobenen Linie Reuß-L. Nach deren Aussterben gelangte L. in den Besitz der Linie Reuß-Ebersdorf-L. und wurde 1848 mit Gera und Schleiz zum Fürstentum Reuß Jüngerer Linie vereinigt. Die Funktion als Residenz behielt die Kleinstadt bis 1918.

(2) Nach dem Übergang der Herrschaft L. an die Vögte von Gera (vor 1276) führten diese den Ausbau L.s zum herrschaftlichen Zentralort weiter und beförderten die Entwicklung städtischer Strukturen. Ab 1278 diente L. den Vögten von Gera mehrfach als Ort für die Ausstellung von Urkunden. Seit diesem Zeitpunkt lassen sich erstmalig auch Bürger (cives) in L. nachweisen. 1369 wird L. in einer Urkunde der Markgrafen von Meißen als slos, hus unnd stat der Vögte von Gera bezeichnet. Die Entwicklung L.s nahm ihren Ausgang von der auf einem Hügel gelegenen Burg als ältestem Mittelpunkt herrschaftlicher Gewalt und lehnte sich an diese in nördlicher Richtung an. Für 1411 sind die außerhalb der Stadtbefestigung gelegenen Vorstädte Hain, Kosel und Neustadt sowie Bürgermeister und drei geschworene Ratsleute bezeugt. Die ältesten bekannten Stadtstatuten aus der Zeit um 1500 bauen auf denen Geras von 1487 auf und stimmen mit diesen im Wesentlichen überein. Die 1568 und 1580 als Folge von Herrschaftswechseln bestätigten Statuten nennen einen im jährlichen Wechsel ruhenden sowie sitzenden Rat und begründen das Marktrecht. Die höhere Gerichtsbarkeit lag beim Landesherrn. Als Erbgerichte fungierten unter anderem ein Stadt- und Hospitalgericht, im Spätmittelalter auch eines für die Pfarrei, welches 1546 jedoch dem Stadtrat übertragen wurde. Während der bggfl.-meißnischen Zeit 1550 bis 1572 ließ sich der Landesherr durch einen Statthalter vertreten. Bereits im Spätmittelalter existierten vier Jahrmärkte, zwei weitere kamen 1656 und 1757 hinzu, 1783 dazu noch sechs Viehmärkte. Für den Beginn des 16. Jahrhunderts sind ungefähr 500 Einwohner anzunehmen. Für das Ende des 18. Jahrhunderts wird die Einwohnerzahl mit 2243 angegeben.

Das Wirtschaftsleben entsprach den lokalen Bedürfnissen und war regional gebunden. Über die sozialen Verhältnisse in der Stadt ist kaum etwas bekannt. Die ratsfähige Oberschicht waren Bürger, die – auch wenn sie Handwerker waren – vorwiegend von Land- und Forstwirtschaft lebten, ab dem 15. Jahrhundert auch von der Textilherstellung und -verarbeitung, welche für einen gewissen Wohlstand sorgte. Eisenerzvorkommen haben einen jahrhundertelang praktizierten Bergbau begründet, dessen Bedeutung für die städtische Wirtschaft jedoch kaum erforscht ist. Ein 1551 vom Landesherrn gewährtes Privileg für Vitriol- und Alaunbergbau lässt auf Schieferabbau als weiteren einträglichen Wirtschaftszweig schließen. Weiter ausgreifende Handelstätigkeiten könnten sich im Spätmittelalter höchstens noch aus der Holzwirtschaft ergeben haben, wie der Nachweis von L.er Saaleflößern um 1500 nahelegt.

(3) Kirchlich gehörte L. bis zur Einführung der Reformation zum südlichen Teil des Bm.s Naumburg (Archidiakonat des Zeitzer Dompropstes). Bei der herrschaftlichen Erschließung des Gebiets durch die Herren von Lobdeburg in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts lehnte sich die dortige Pfarrorganisation aufgrund des starken Einflusses des Adels weitgehend an den weltlichen Herrschaftsbereich an. Dieser Typ der »Herrschaftspfarrei« begegnete im L.er Gebiet in besonders ausgeprägter Form. Die Tätigkeit eines Pfarrers (plebanus) ist erstmalig für 1278 nachweisbar, für die Stadtkirche St. Michael ab 1360. Monastisches Leben ist nicht greifbar. Die Stadtkirche St. Michael verfügte bis zur Reformation über vier Altäre. Der dem Hl. Michael geweihte Hochaltar blieb auch nach Einführung der Reformation bestehen. Die Einrichtung einer Gruft in der St. Michaels Kirche als Grablege der Herrscherfamilie 1611 geht auf Heinrich Posthumus zurück. Sie wurde 1714 durch einen Brand zerstört. Ebenfalls durch Brand verloren gegangen ist die Kirchenbibliothek, welche 1632 durch einen aus L. stammenden Nürnberger Kaufmann gestiftet worden war. Neben einer Marienkapelle an der Pfarrkirche St. Michael sowie einer dem Hl. Georg geweihten Burgkapelle existierte bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts in der Vorstadt Hain eine weitere Kapelle, welche dem Hl. Nikolaus geweiht war. Ferner bestand ein Hospital, welches 1634 mit einem Legat Heinrichs Posthumus ausgestattet wurde. Da die Herrschaft L. böhmisches Lehen war, zögerte der seit mindestens 1541 evangelisch eingestellte Heinrich XV. von Gera wohl aus Rücksicht auf seinen habsburgischen Lehnsherrn zunächst, hier die Reformation einzuführen. Er legte dem sächsischen Kurfürsten aber nichts in den Weg, als dieser 1543 das L.er Gebiet visitierte und damit auch L. der Reformation zugeführt wurde. In diesem Zusammenhang wurde dem Rat der Stadt befohlen, alle Fahnen, Kerzen, Bilder und Altäre – außer dem Hochaltar – zu entfernen. 1543 wurde eine Superintendentur eingerichtet. Der Superintendent nahm zugleich die Rolle des Hofpredigers wahr, mit Ausnahme der Jahre 1725–49, als ein eigener Hofprediger wirkte. Vor der Reformation gab es einen Lehrer, der zugleich Stadtschreiber war, 1543 wurde eine weitere Lehrerstelle und 1606 eine dritte eingerichtet. Ein eigenes Schulgebäude existierte seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts. Eine Schule für Mädchen ist seit 1644 nachweisbar, ab 1683 als öffentliche Schule.

(4) Von der durch die Herren von Lobdeburg zu Beginn des 13. Jahrhunderts erbauten Burg haben sich neben Teilen der Ummauerung ein 35 Meter hoher Hauptturm erhalten, der wahrscheinlich erst im 16. Jahrhundert errichtet wurde, sowie ein jüngerer nordöstlich davon gelegener kleinerer Turm. Das ab dem 14. Jahrhundert auch als »Schloss« bezeichnete und 1632 im Dreißigjährigen Krieg zerstörte Burgensemble wurde von den Vögten von Gera bis zu deren Aussterben 1550 zu Residenzzwecken genutzt. Eine Stadtummauerung bestand seit 1370. Sie bildete im Süden mit der äußeren Ringmauer der Burganlage eine Einheit. Die nur aus wenigen Straßenzügen bestehende und durch ihre Hanglage geprägte Siedlung gruppierte sich mit ihrem zentral gelegenen Marktplatz und dem Rathaus am Fuße des Burgbergs. Im Spätmittelalter war die Stadt durch zwei Tore zugänglich, einem unteren Tor in südlicher und einem oberen in nördlicher Richtung. Die im 14. Jahrhundert erbaute Stadtkirche St. Michael befindet sich gegenüber dem Burgberg, ebenfalls auf einer Anhöhe, jedoch außerhalb der Ummauerung. Zum Ende des 16. Jahrhunderts hin wurde das Kirchenschiff erweitert (Baubeginn 1587). Mehrmals gab es Brände, bei denen Teile der Stadt, auch herrschaftliche Bauten sowie das Kirchengebäude, in Mitleidenschaft gezogen wurden. Dies gilt auch für das Rathaus am Marktplatz (Erbauungszeit unbekannt), in welchem nach den Statuten von 1500 von alters her ein »rechter« burgkfriede bestand. Den Beginn des Ausbaus L.s zur reußischen Residenzstadt markierte der Bau einer neuen Schlossanlage (»Altes Schloss«) unterhalb der Burg durch Heinrich Posthumus 1601. Der mit repräsentativen Zwerchgiebeln in den Formen der Spätrenaissance verzierte und mit zwei hohen Treppentürmen versehene Schlossbau bestand aus zwei zur Stadt hin geöffneten Gebäudeflügeln (1714 durch Brand zerstört). Aufgrund der kontinuierlichen Nutzung L.s als Residenzort der gleichnamigen reußischen Teillinie wurden neue herrschaftliche Repräsentativbauten notwendig. Das bereits im Brandjahr 1714 fertiggestellte und zunächst als reußischer Witwensitz konzipierte »Palais Christianenzell« war eine schlichte Dreiflügelanlage und lag außerhalb der Stadtmauern am nordwestlichen Stadtrand. Bis zum Bezug eines neuen Residenzbaus wurde das »Palais« interimsmäßig als Hauptresidenz genutzt, diente jedoch auch im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts als Nebenresidenz. Das neue am nördlichen Stadtrand ebenfalls außerhalb der Stadtmauern gelegene Residenzschloss (»Neues Schloss«) wurde als Dreiflügelanlage mit einer später großzügig erweiterten Gartenanlage 1718 unter Graf Heinrich XV. beendet. Ergänzt wurde der Baubestand des Hauses Reuß-L. 1783 um ein Lusthaus (Pavillon Bellevue), welches außerhalb L.s auf halbem Weg zur nahegelegenen reußischen Nachbarresidenz Ebersdorf lag.

(5, 6) L. zählte zu den kleinsten Residenzstädten im Alten Reich und war der am weitesten südlich gelegene unter den reußischen Residenzorten. Über den nächsten Umkreis hinaus verfügte die Stadt im weiteren Umland weder über einen nennenswerten Einfluss noch besaß sie dort über hervorzuhebende Rechte, Güter oder Einkünfte. Der Pfarrei der Stadtkirche St. Michael waren fünf Dörfer in der Umgebung zugeordnet. Wirtschaftlich dürfte die Stadt von ihrer verkehrsgeographisch günstigen Lage an der von Nürnberg nach Leipzig führenden Handelsstraße profitiert haben. Von seinem Umland hob sich L. aufgrund der seit 1371 bestehenden böhmischen Lehenszugehörigkeit ab, deren Erneuerung sich für die Jahre 1478, 1502 und 1518 nachweisen lässt. Bis zum Übergang L.s an das Haus Reuß 1576 waren die Beziehungen zwischen Stadt und Herrschaft vor allem durch wechselnde dynastische Zugehörigkeiten und Optionen geprägt. Angesichts des am Ende des 14. Jahrhunderts wiederholt in Aussicht stehenden Aussterbens der Vögte von Gera erhielten 1397 von König Wenzel zunächst die Wettiner die Anwartschaft auf Lobenstein zugesprochen, ein Jahr später die Grafen von Schwarzburg. 1567 verpfändete Heinrich VI. Burggraf von Meißen L. an Graf Günther von Schwarzburg, dem ein Teil der Bürgerschaft daraufhin jedoch den Huldigungseid verweigerte. Erst 1576 nach erneuter, auch kaiserlich bestätigter Verpfändung 1570 setzte das Haus Reuß nach dem Tod des letzten Burggrafen von Meißen seinen Anspruch auf Herrschaftsnachfolge durch. Als herrschaftlicher Zentralort profitierte L. ab dem beginnenden 17. Jahrhundert vom residenzmäßigen Ausbau, indem es für die gleichnamige reußische Teilherrschaft Sitz der »Verwaltungsbehörden« wurde.

(7) Aufgrund von Kriegsverlusten ist kein größerer geschlossener Bestand an ungedruckten Quellen (Archivalien) zur älteren Geschichte Lobensteins überliefert. Nur ein Restbestand des 1945 zerstörten Fürstlich-Reußischen Hausarchivs Schleiz, dem ein großer Teil der archivalischen Überlieferung zur ehemaligen Herrschaft Lobenstein einverleibt worden war, ist erhalten. Er befindet sich heutzutage im Thüringischen Staatsarchiv Greiz. Das Stadtarchiv Lobenstein verwahrt Quellen aus der Zeit vor dem 19. Jahrhundert nur in geringem Umfang. – Lobensteinisches gemeinnütziges Intelligenzblatt 16 (1799).

Alberti, Julius: Die ältesten Stadtrechte der Reußischen Städte, in: Jahresbericht des Vogtländischen Altertumsforschenden Vereins zu Hohenleuben e. V. 52/53 (1882) S. 23–63 [S. 23–30]. – Urkundenbuch der Vögte (1885–1892) [Bd. I, Nr. 184, 188, 417; Bd. II, Nr. 177]. – Regesta Thuringiae, hg. Dobenecker (1896–1939), Bd. 3 (1925) [Nr. 1814]. – Urkundliche Quellen zur Geschichte der Stadt Lobenstein 1478–1623, bearb. und hg. von Manfred Ungelenk, Burgk 1969.

(8)Brückner, Georg: Landes- und Volkskunde des Fürstenthums Reuß j. L., 2 Bde., Gera 1870 (ND Bad Langensalza 2011; S. 713–723). – Bau- und Kunstdenkmäler Thüringens, bearb. von Paul Lehfeldt, H. 12, Jena 1891 [S. 110–114]. – Hänsel, Robert: Art. „Lobenstein“, in: Deutsches Städtebuch, Bd. 2: Mitteldeutschland (1941), S. 330–332. – Geschichte Thüringens, hg. von Hans Patze und Walter Schlesinger, Köln 1967–1979 (Mitteldeutsche Forschungen, 48, 1–6) [zu Lobenstein vgl. besonders Bd. 2,1: S. 162–179, S. 193–199 sowie passim; Bd. 3: S. 275–281; Bd. 5,1,1: S. 561–573; Bd. 5,1,2: S. 730–735]. – Hartung, Winfried: Art. „Lobenstein“, in: Handbuch der Historischen Stätten, Bd. 9: Thüringen (21989), S. 261–262. – Scheidig, Dieter: Lobenstein. Ein historischer Stadtführer, Lobenstein 1996. – Löffler, Reußische Residenzen (2000) [S. 296–327]. – Leibetseder, Mathis: Art. „Lobenstein“, in: Höfe und Residenzen IV,2 (2012), S. 1173 [dort auch Hinweise auf neuere Literatur].

Thomas Mutschler