Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Dessau

Dessau

(1) D. wurde in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts im Mündungsgebiet der Mulde in die Elbe gegründet, sehr wahrscheinlich im Auftrag des Askaniers Bernhard, Herzog von Sachsen (1140–1212), als Marktsiedlung; eine slawische Vorgängersiedlung ist nur vage aus einem 2004 getätigten Fund zu erschließen. Die Gründung gehörte zu dem noch von dessen Vater Markgraf Albrecht dem Bären (um 1100–1170) initiierten Versuch des Herrschaftsausbaus an mittlerer Elbe und unterer Mulde. D. lag auf einer eiszeitlichen Niederterrasse, die sich parallel zur Mulde aus der Flussniederung erhob und vor den jährlich wiederkehrenden Hochwassern geschützt war. Die Marktsiedlung wurde in nord-südlicher Richtung von einer überregionalen Handelsstraße durchquert, die sich am Rand der südlich D.s gelegenen Mosigkauer Heide vor Eintritt in die Flussniederung aus drei Handelsstraßen (zwei von Süden aus Leipzig bzw. Halle kommend sowie von Westen die »Bernburger Heerstraße« bzw. »Hohe Straße«) gebildet hatte. Nördlich D.s überquerte diese Straße die Elbe und verzweigte sich in Richtung Magdeburg, in die Mark Brandenburg und nach Wittenberg/Sachsen. Urkundlich wird D. das erste Mal 1213 erwähnt, die Muldebrücke 1239. Die von Westen kommende »Hohe Straße« ging hier zu den rechtsmuldischen Besitzungen der Abtei Nienburg um den Marktort Pötnitz (heute Ortsteil von D.-Mildensee) und im Wörlitzer Winkel über. D. war möglicherweise auf Gebiet der Abtei Nienburg entstanden, deren Besitzungen sich bis unmittelbar südlich D.s erstreckten, und deren Vogteirechte als Lehen der Magdeburger Erzbischöfe in Händen der Askanier bzw. deren Nachfolger, den seit 1212 im Rang von Reichsfürsten stehenden Grafen von Anhalt, lagen. Die Nienburger Äbte mussten ihren Vögten immer wieder territoriale Zugeständnisse machen, bis 1512 verlor die Abtei fast alle ihre Besitzungen im Muldegebiet.

Eine Burg der Askanier existierte wohl schon bei der Entstehung D.s. Sie war zunächst aber kein bevorzugter Aufenthaltsort der anhaltischen Fürsten, die meist zu Reina oder Lippehne urkundeten. Erst ab 1297 urkundeten sie häufiger in D., wo ein Burgvogt bzw. Präfekt die Belange der Stadtherren in deren Abwesenheit vertrat.

1471 begann die Entwicklung D.s zur Residenz. Fürst Georg I. von Anhalt-Köthen (1416–1474) schuf für seine Söhne zwei Teilherrschaften (Köthen und D.). D. wurde nun der Herrschaftsmittelpunkt eines eigenständigen Fsm.s und nahm als Standort eines fsl.en Hofes, der davon getrennten Administration des Amts D. sowie ab 1579 einer eigenständigen landständischen Verwaltung im Verlauf des 16. Jahrhunderts einen ausgeprägten Residenzstadtcharakter an, der bis in das 20. Jahrhundert hinein erhalten blieb. Fürst Joachim Ernst (1536–1586), der in Bernburg saß, konnte die anhaltischen Fsm.er 1570 wieder vereinigen. Er wählte D. als seinen Herrschaftssitz. D. war zu jener Zeit zwar die kleinste der vier anhaltischen »Haupt-Städte«, wurde jedoch als Hauptstadt von ganz Anhalt betrachtet; Indiz hierfür ist der Aufbau des fsl.en Gesamtarchivs in den 1560er Jahren. Bereits 1606 wurde unter den Söhnen Joachim Ernsts eine Erbteilung vorgenommen, bei der vier anhaltische Fsm.er, darunter Anhalt-D., entstanden. Die D.er Fürsten konnten bis 1863 alle Teilfsm.er wieder vereinigen. D. wurde nun die Haupt- und Residenzstadt von ganz Anhalt.

Kirchlich gehörte D. bis zur Reformation zum Erzbistum Magdeburg. Nach Einführung der Reformation im Jahr 1534 war der Pfarrer der D.er Marienkirche zugleich Superintendent für das Fürstentum Zur Einrichtung eines Konsistoriums kam es zunächst nicht, dafür erhielten die Superintendenten weitgehende Kompetenzen in kirchlichen Rechtssachen. Ein Konsistorium wurde erst im 17. Jahrhundert gebildet.

(2) D. befand sich inmitten des Gebiets des askanischen Landesausbaus; wie bei ihren anderen Siedlungsaktivitäten erfolgte auch hier die Besiedlung durch Flamen. Der ursprüngliche Stadtgrundriss passte sich den Formen der Insel in der Muldeaue an, auf die D. beschränkt blieb, bis die Sandvorstadt im Süden (1534), die Muldevorstadt im Osten (1536) und die Vorstadt vor dem Zerbster Tor im Norden (1560er Jahre) angelegt wurden. Die Zahl der Häuser nahm im 16. Jahrhundert deutlich zu, besonders in der Muldevorstadt (1549 51, 1610 201) und in der Sandvorstadt (1549 28, 1610 181); innerhalb der Ringmauer gab es zur gleichen Zeit nur einen moderaten Anstieg von 110 auf 139 Häuser. 1610 hatte D. ca. 2600 Einwohner.

Nach dem Dreißigjährigen Krieg, der D. stark in Mitleidenschaft gezogen hatte, kam es ab den 1680er Jahren wieder zu einer Stadterweiterung der Sandvorstadt nach Süden entlang der Leipziger Straße und ab 1688 durch Anlegung der Neustadt nordwestlich der Ratsstadt. Unter Fürst Leopold wurde 1712 mit der Anlage der Kavalierstraße als Pracht- und Flanierstraße auf fsl.em Gebiet unmittelbar westlich der Ratsstadt begonnen. Als Verlängerung der Kavalierstraße nach Süden durch die Sandvorstadt entstand unter Fürst Franz ab 1761 eine neue Straße (ab 1780 Franzstraße). Diese endete zunächst an der Akzisemauer von 1712, wurde 1791 aber mit einer neuen Chaussee verbunden, die bis zur sächsischen Grenze führte. Die Einwohnerzahl stieg im 18. Jahrhundert beträchtlich an auf ca. 7800 Einwohner im Jahr 1787.

Bei der Entstehung D.s im Kolonisationsgebiet galt der Grundsatz der Freiheit von Person und Besitz. Ein 1319 erstmals erwähnter Schultheiß war für die Wahrung von Recht und Ordnung innerhalb des städtischen Weichbilds zuständig. Ratmannen werden erstmals 1323, ein Bürgermeister erst 1411 genannt. Dem Rat dürften ursprünglich Kaufleute bzw. die reichsten und vornehmsten Bürger der Stadt angehört haben (einer der ersten Ratsherren hieß Johannes Vilpennig). 1372 hatten die Innungsmeister die Vorherrschaft der ratsverwandten Geschlechter gebrochen und entsandten ihre Vertreter in den Rat. Welche Gewerbe Innungen ausgebildet hatten, ist nicht bekannt, traditionell gilt die Knochenhauerinnung (1371) als die älteste. Der Rat bestand aus zwölf Mitgliedern, die in drei Mitteln abwechselnd regierten.

1385 bestätigten die Fürsten die volle Autorität des Rats über die Einwohner innerhalb der Stadtmauer und versprachen, die althergebrachten Rechte und Freiheiten und die Kompetenz des Stadtgerichts anzuerkennen, dem die niedere Gerichtsbarkeit und Marktgerichtsbarkeit im städtischen Weichbild oblag. 1488 konnten Bürgermeister und Rat von Fürst Ernst (1454–1516) die hohe Gerichtsbarkeit abkaufen (mit Recht des Rückkaufs). Richter war der im jeweiligen Jahr amtierende Bürgermeister; die Schöppen wurden aus der Zahl der nicht amtierenden Ratsmitglieder genommen. Die Fürsten behielten sich jedoch bis 1681 noch die sogenannte Herrennacht vor, jeweils drei fürstliche Gerichtstage im Jahr. Die Gerichtsbarkeit blieb bis 1834 im Besitz der Stadt. Als Grundlagen der Rechtsprechung dienten der Sachsenspiegel und das Magdeburger Weichbildrecht, die auf dem D.er Rathaus lagen. Fürst Joachim Ernst erließ 1571 eine Stadtordnung (»Willkür«) und 1578 eine Polizeyordnung. Schon am Ende des 16. Jahrhunderts war die Autonomie stark eingeschränkt, die Stadt dem Fürstenwillen fast ganz unterworfen. Unter den absolutistischen Herrschern des 18. Jahrhunderts verstärkte sich diese Abhängigkeit weiter. Fürst Leopold von Anhalt-D. beeinflusste 1729 sogar massiv die Ratswahl und setzte einen seiner Günstlinge persönlich durch.

D. besaß von alters her zwei Jahrmärkte von je drei Tagen und einen Wochenmarkt, der jeden Dienstag stattfand. 1573 wurde der Wochenmarkt auf Samstag verlegt, 1619 kam ein zweiter Wochenmarkt am Mittwoch hinzu, um 1650 ein dritter Jahrmarkt, der in der Sandvorstadt abgehalten wurde. Das Exportkorn aus den anhaltischen Getreideüberschussgebieten wurde bereits im 15. Jahrhundert in bescheidenem Umfang bei D. auf die Elbhandelsschiffe verladen. Ab etwa 1529 forcierten die anhaltischen Fürsten die Getreideexporte aus ihren Territorien. Auf der Elbe bei D. gab es eine fürstliche Zoll- oder Geleitstelle. Für alle Floßleute bestand hier eine dreitägige Stapelpflicht, doch wurde diese 1549 nur noch selten gehalten und war bereits weitgehend von einer Zollzahlung abgelöst worden. Am überregionalen Getreide-, Holz- oder Viehhandel waren D.er Bürger kaum beteiligt.

D. scheint in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts vorübergehend Mittelpunkt eines bedeutenden Tuchhandels und Tuchhandwerks gewesen zu sein, wie ein 1336 erwähntes Kaufhaus nahelegt. Größere Bedeutung erlangte die Tuchherstellung für einige Jahrzehnte wieder ab der Mitte des 16. Jahrhunderts. Ab 1541 existierte eine Tuchmacher- und Wollenwerker-Innung. Insgesamt sind im 16. Jahrhundert 18 Innungen nachweisbar, vornehmlich der Textilherstellung und -verarbeitung, des Nahrungsmittel- sowie des metallverarbeitenden Gewerbes und des Bauhandwerks. Für einige Handwerke wie Hutmacher und Glaser bestanden Landesinnungen, die alle ihren Sitz in D. hatten.

(3) Die Pfarrkirche St. Marien dürfte bei der Gründung der Marktsiedlung fundiert worden sein, 1263 wird sie das erste Mal urkundlich erwähnt. Es handelte sich um einen romanischen Kirchenbau mit wehrhaftem Charakter, in den D.er Stadtsiegeln von 1360 bis 1482 stilisiert wiedergegeben. Neben dem Hauptaltar wurden im 14. Jahrhundert eine Reihe weiterer Altäre gestiftet, kurz vor der Reformation bestanden acht Haupt- und Nebenaltäre. Die Geistlichen der Marienkirche nahmen in der Grafschaft Anhalt eine besondere Stellung ein: So war der Priester Mauritius Faber 1385 fsl.er Rat. Das Patronatsrecht über die Marienkirche lag bei den Fürsten Der Marienkirche angeschlossen war eine 1313 zum ersten Mal erwähnte Schule. Im Zuge der Reformation wurde diese in eine fürstliche Lateinschule umgewandelt, die 1533 einen Neubau auf dem Kirchhof erhielt. 1550 kam eine Mägdleinschule hinzu. 1506 legte Fürst Ernst (1454–1516) den Grundstein für einen Neubau der Marienkirche als Schloss- und Stadtkirche. 1523 weihte Kardinal Albrecht, Erzbischof von Magdeburg und Mainz (1490–1546), die neue, noch unvollendete und nicht eingewölbte spätgotische Hallenkirche. Erst 1554 war der Neubau mit der Fertigstellung des Turms beendet. Die Marienkirche diente als Grablege der D.er Fürsten, u. a. wurden Fürst Joachim Ernst (1586) und Fürst Leopold (1676–1747), der »Alte Dessauer«, einer der bekanntesten Fürsten seiner Zeit, hier bestattet.

Klöster gab es nicht. Lediglich die Zerbster Franziskaner besaßen ein Haus auf dem Marienkirchhof, das sie dem Rat 1372 gegen ein größeres Haus in der Zerbster Straße (heute Zerbster Straße 34) überließen. Ein Kaland wird 1306 genannt (1385 vom Magdeburger Erzbischof bestätigt). In der Reformation wurde er 1540 aufgehoben, dessen Besitz inkl. des Hauses der Marienkirche zugewiesen.

Bereits 1228 bestand am nördlichen Rand der Stadtbefestigung ein Hospital, das spätere Hospital »Zum heiligen Geist«, bei dem sich eine St. Nicolaus-Kapelle befand (im 18. Jahrhundert abgetragen). Fürst Franz verlegte das Hospital 1796 an die Franzstraße und ließ an der alten Stelle ein Palais errichten. Ende des 14. Jahrhunderts entstand im Süden vor der Stadt das St.-Georgs-Hospital zur Versorgung von Leprakranken mit einer »Kapelle zum Sychen« (1402 erstmals erwähnt, später Georgenkirche), gestiftet vermutlich von der Stadtgemeinde.

Die Fürsten Johann IV. (1504–1551), Georg III. (1507–1553) und Joachim (1509–1561) standen in Austausch mit Luther, Melanchthon und anderen Reformatoren im nahen Wittenberg. Erst mit dem Tod ihrer streng katholischen Mutter Fs.in Margarethe 1530 wurde der Weg für die Reformation frei. 1532 beriefen die gemeinschaftlich regierenden Brüder Magister Nikolaus Hausmann (1478/1479–1538) aus Zwickau zum Hofprediger, der eine neue Kirchenordnung ausarbeitete (1532, 1535) und 1534 in der Marienkirche erstmals das Abendmahl in beiderlei Gestalt austeilte sowie eine Kirchenvisitation im Fürstentum durchführte. Neben ihm amtierte weiterhin der alte Stadtpfarrer Gregorius Peschel. Erst als er 1540 starb, trat auch die Stadtgemeinde offiziell zur evangelisch-lutherischen Konfession über. Neben Hausmann hat sich vor allem Fürst Georg III., zugleich Dompropst von Magdeburg und evangelischer Bischof von Merseburg, Freund Luthers und Melanchthons, um die Reformation verdient gemacht. Die D.er Fürsten neigten der durch Melanchthon geprägten Richtung der Reformation zu und entfernten sich im weiteren Verlauf des 16. Jahrhunderts von der lutherischen Orthodoxie. 1596 traten sie zum Calvinismus über, worin ihnen Stadt und Land gemäß des Augsburger Reichs- und Religionsfriedens von 1555 folgen mussten.

Die Lutheraner gewannen am Ende des 17. Jahrhunderts wieder an Bedeutung. Im Jahr 1690 begann mit fsl.er Unterstützung der Bau der lutherischen Johanniskirche (1702 vollendet). Eine katholische Gemeinde entstand mit einer kleinen Kapelle im höfischen Umfeld in einem Privathaus (Schlossstraße 1). U. a. gehörten ihr die Herzogin Marie Eleonore von Radzivill (1671–1756), eine Schwester des Fürsten Leopold, Schlosshauptmann Trinthammer sowie italienische und böhmische Kaufleute/Manufakturbesitzer an. Zudem gestattete Fürst Johann Georg II. 1672 gegen den Widerstand der Regierung und wohl auch der Einwohner die Ansiedlung von jüdischen Familien, die ab 1674 eine Gemeinde bildeten (1674 Begräbnisplatz außerhalb der Stadt, 1687 am Eingang desselben ein Armen- und Krankenhaus, zugleich Privilegierung der Synagoge; 1685 gab es 26 Schutzjuden).

(4) Burg bzw. Schloss waren in die Stadtbefestigung integriert und befanden sich in der Südostecke der Stadt, zur Stadt hin jedoch durch Wall und Graben abgetrennt. 1385 wird zum ersten Mal eine Stadtmauer erwähnt, die drei Stadttore kannte: das Stenesche Tor im Süden (1402 erstmals genannt), das Zerbster Tor im Norden und das Muldetor im Osten (beide 1488 zum ersten Mal genannt). Dem Schutz der Marktsiedlung dienten drei bei der Gründung an exponierter Stelle an den Ein- und Ausgängen innerhalb der Stadtanlage eingerichtete Sattelhöfe und der Hof des Burgvogts (Burglehen). Zur Burg gehörte ein unmittelbar südlich der Stadt gelegenes Vorwerk (Meierei). Die Burg wurde 1405 stark zerstört, bei einem Stadtbrand 1467 fast vollständig vernichtet. Unmittelbar danach begann die Errichtung neuer »Häuser«, die zusammen eine Vierflügelanlage bildeten. Im 16. Jahrhundert wurde diese Anlage zu einem Schlosskomplex umgebaut, zudem ein Lustgarten angelegt. Eine Wasserkunst versorgte das Schloss und Teile der Stadt mit Frischwasser. 1708 wurde die Schlossanlage durch den Abriss des Nordflügels zur Stadt hin geöffnet. Fürst Leopold ließ ab 1708 große Teile der mittelalterlichen Ringmauer abbrechen und ab 1712 die neue Akzisemauer errichten, die das gesamte Stadtgebiet einschließlich der unter Amtsverwaltung stehenden Sandvorstadt umfasste.

Das um 1470 entstandene steinerne Haus Schlossstraße 2 war bis 1491 Witwensitz der Fs.in Anna. Ab der Mitte des 16. Jahrhunderts ließen Adlige und Bürger repräsentative Renaissance-Häuser errichten, vor allem an der West- und Nordostseite des Schlossplatzes, darunter 1556 das Haus »Drei Kronen«. Weiterhin wurden viele ältere Bürgerhäuser durch Schmuckgiebel und prächtige Sandsteinportale dem Zeitgeschmack angepasst. 1563 fand die Erneuerung des Rathauses mit Wendelstein und Schmuckgiebel ihren Abschluss. Vor 1551 wurde das Stenesche Tor neu gebaut. Im Jahr 1604 erfolgte eine Erneuerung des Kalandhauses, wobei das Gebäude offenbar seine beiden fünfgeschossigen Giebel erhielt. Die Hauptstraßen wurden gepflastert, anstelle der Elbfähre wurde 1583 eine hölzerne Brücke errichtet.

Der Ausbau der Residenzstadt wurde erst unter Fürst Johann Georg II. (1627–1693) und seiner Frau Henriette Catharina fortgesetzt. Der auf die Fs.in, eine Oranierin, zurückgehende niederländische Einfluss wurde im Stadtbild sichtbar. 1691 begann nach Plänen von Cornelius Ryckwaert die Umgestaltung des Schlossplatzes zu einem geschlossenen Ensemble (1945 zerstört). Markant waren die der Marienkirche vorgelegten und mit Kolonnaden versehenen »Buden« sowie ein »Holland« genanntes Eckgebäude. Ein herausragendes bauliches Zeugnis dieser Zeit war das »Haus Oranien« in der Zerbster Straße, in dem ab 1686 der fürstliche Münzmeister wohnte. Fürst Leopold ließ für seine Söhne Moritz und Eugen um 1740 Palaisbauten an der neuen Kavalierstraße errichten, ein Palais für seinen Sohn Dietrich an der Zerbster Straße folgte 1747–1752.

Fs. Leopold III. Friedrich Franz, genannt »Vater« Franz (1740–1817, reg. ab 1758), begann 1761 mit der Umsetzung eigener, zum Teil auch älterer Vorstellungen zur Ausgestaltung D.s (neues Pfarrhaus St. Marien, repräsentative Wohnhäuser an der Zerbster Straße [»Haus Kalitsch«, Palais Hilda], an der neuen Franzstraße [u. a. »Haus Olberg«]). Das Stadtbild prägend waren viele weitere von Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff (1736–1800), des Begründers des Klassizismus auf dem europäischen Festland, entworfene Einzelbauten. Sie lagen fast alle in der alten Ratsstadt, wurden jedoch auf fürstliche Veranlassung errichtet. Dem Rat standen kaum Mittel zur Verfügung, selbst zur Erneuerung und Ausschmückung der Marienkirche 1779–1785 trug er nichts bei. Er ließ lediglich 1789 das Rathaus durch einen Anbau erweitern. In den 1770er und 1780er Jahren verlagerte sich das Baugeschehen an die Peripherie und in die Auenlandschaft an Mulde und Elbe. Diese wurde in eine von der östlichen zur westlichen Landesgrenze Anhalt-D.s reichende Gartenlandschaft mit zahlreichen nach englischem Vorbild angelegten Landschaftsgärten umgestaltet. Vor allem in Schloss und Park Wörlitz entfaltete sich die höfische Repräsentation. Ab Ende der 1780er Jahre ließ Fürst Franz im Umfeld des D.er Schlosses u. a. die Neue Reitbahn (1790–1791) und eine Orangerie (1793–1795) bauen.

(5) Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Askanier D. in Konkurrenz zu Pötnitz, einer Gründung der Äbte des Klosters Nienburg, schufen. Pötnitz verkümmerte jedoch schnell. Das Weichbild (1372 erwähnt) und die Gerichtsbarkeit des Rats (1488) reichten »vor den drei Toren bis an die Kreuze, nächst davor stehende«, wie es noch im D.er Land- und Amtsregister von 1549 heißt. Außerhalb des Weichbilds standen den Bewohnern der Marktsiedlung lediglich einige kleinere Nutzungsrechte zu, die sich im Muldebogen nordöstlich der Stadt befanden. Umlandbesitz gab es in dem Schwarzen Land nördlich und nordwestlich D.s, welches die Mark eines vor 1335 untergegangenen Dorfes war. Jede Erweiterung über die einmal für die Marktsiedlung abgesteckten Grenzen hinaus musste (mit Ausnahme der Muldvorstadt) auf stadtherrlichen Grund stattfinden. So entstand seit dem 16. Jahrhundert die fürstliche »Amtsstadt« neben der »Ratsstadt«.

1323 trat D. nach Zerbst und Köthen als dritte anhaltische Stadt einer »Einung« mit Wittenberg bei, um sich gegenseitig in Fehden beizustehen. Im 14. und 15. Jahrhundert lieh die Stadt den Fürsten mehrfach größere Summen Geldes. Nachdem Fürst Joachim Ernst 1570 alle anhaltischen Gebiete in seiner Hand vereinigt hatte, verlegte er seine Residenz von Bernburg nach D., womit die Stadt erhöhte Bedeutung erhielt. Ein hochrangiges, in D. bisher nicht gekanntes höfisches Fest war seine Hochzeit mit Eleonore von Württemberg (1515–1568) im Januar 1571. D. wurde 1581 im Großen landständischen Ausschuss der Städte vertreten (neben Zerbst, Bernburg, Köthen, Harzgerode und Sandersleben), hingegen nicht im wichtigeren Kleinen Ausschuss der Städte. Als Residenzstadt sowie Sitz der Regierung, des obersten Gerichts und weiterer Zentralbehörden war D. die wichtigste Stadt und der zentrale Markt des ab 1603/1606 bestehenden Fsm.s Anhalt-D.

1433 erwarb die Stadt mit Zustimmung Fürst Georgs I. das wüste Dorf Naundorf. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhundert vollzog Fürst Leopold eine rigorose Grunderwerbspolitik, die zur Bildung großer Domänen führte, den Untertanen aber die Existenzgrundlage raubte oder stark beschnitt. Die Güterankäufe des Fürsten begannen 1707 mit dem Ankauf bzw. Eintausch Naundorfs von den Bürgern D.s. Eine 1748 durchgeführte Vermessung ergab, dass auf dem D.er Feld die fürstliche Familie knapp 72 % der Gesamtfläche, die Untertanen nur etwas über 28 % besaßen.

(6) Residenzstadt wurde D. im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts, als eine eigene Teilherrschaft Anhalt-D. geschaffen wurde. Ab etwa 1570 wurde diese Funktion deutlich ausgebaut und blieb bis ins frühe 20. Jahrhundert erhalten. In der Stadt hatte sich, basierend auf den Behörden des seit 1471/1474 bestehenden Fsm.s, eine Landesverwaltung für ganz Anhalt herausgebildet. Daneben entstand nach 1570 eine selbständige, personell wie räumlich getrennte Verwaltung für das Amt D. Zentrales Gericht des Landes war die fürstliche Kanzlei. Die Stadt- und Schlosskirche St. Marien diente als Grablege der Fürsten, der fsl.en Familie und hoher geistlicher und administrativer Würdenträger. Für ungefähr eine Generation (ca. 1570–ca. 1600) kann man D. als administratives, wirtschaftliches, geistliches und kulturelles Zentrum ganz Anhalts bezeichnen. Mit der Teilung von 1603/1606 besaß D. diese Funktionen im Wesentlichen nur noch für das Fürstentum Anhalt-D., Haupt- und Residenzstadt für ganz Anhalt wurde D. erst wieder im Jahr 1863.

Die Reformation wurde durch die Fürsten eingeführt. Die Marienkirche war sowohl Pfarr- als auch Hofkirche. Unter der Turmhaube der Marienkirche war ab 1554 der Reichsadler angebracht, als ein Hinweis auf die Reichsunmittelbarkeit der anhaltischen Fürsten und als Ausdruck ihrer Kaisertreue. Die Marienkirche versinnbildlichte damit in ihrer äußeren und inneren Gestalt und in ihrer Ausstattung die irdischen Herrschaftsverhältnisse: über den D.er Bürgern die Fürsten von Anhalt und darüber der Kaiser Im neuen Stadtwappen von 1540 ist D. symbolisch dem Fürstenhaus unterworfen. Es zeigt nicht mehr die Marienkirche, sondern das anhaltische und ein wohl erfundenes Wappen der Herren von Waldersee. Auf die Stadt deuten nur noch ein kleiner Turm (als Zeichen der Wehrhaftigkeit der Stadt) über dem Wappen sowie die Initialen »RzD« (Rat zu D.). Die Stadt verlor durch die Anwesenheit des Hofs zunehmend ihre Selbständigkeit. Besonders zeigt sich dies bei der Zusammensetzung des Rats, in dem spätestens in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts fürstliche Beamte entscheidendes Gewicht erlangten. Bei der Zusammensetzung des neuen Rates hatten die Stadtherren das letzte Wort, sie wählten aus einer Vorschlagsliste nach Gutdünken aus. Die Stadtherren schlichteten 1610 Streitigkeiten zwischen der Bürgerschaft und dem Rat, die wegen grober Misswirtschaft des Rats entstanden waren.

Kulturgeschichtlich bedeutsam sind die klassizistische Überformung D.s und die englischen Landschaftsgärten, die im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts angelegt wurden und bis in das zwölf Kilometer von D. entfernte Wörlitz reichten. Seit November 2000 gehört das D.-Wörlitzer Gartenreich zum Unesco-Welterbe. Die klassizistischen Bauten in D. wurden zu weiten Teilen im 2. Weltkrieg zerstört.

(7) Archivalien befinden sich im Stadtarchiv Dessau-Roßlau (StadtA Dessau-Roßlau), vor allem aber im Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Dessau (LASA, DE). Im Stadtarchiv sind nur noch wenige Archivalien aus der Zeit vor 1910 (Rathausbrand) erhalten. Neben einem kleinen Urkundenbestand mit städtischen Privilegien (ab 1336) sind noch einige Stadtbücher vorhanden, darunter Bürgerbücher 1558–1774 (U 800, U 801), ein Steuerretardatenbuch 1643–1673 (U 807) und ein Schwurbuch des Rates 1686–1848 (U 809). Im Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abt. Dessau, befindet sich die Überlieferung der anhaltischen Fürsten- bzw. Herzogtümer. Hinzuweisen ist hier insbesondere auf die Bestände der Amts-, Sal-, Lehn- und Amtshandelsbücher 1307–1871 (LHASA, DE, Z 10–13), Innungen und Gewerbe zu Dessau 1574–1918 (LHASA, DE, P 404) und diverse Hofamts- und Hofhaltungsunterlagen (LHASA, DE, Z 44 A 11 und A 12). Für den Ausbau Dessaus zur Residenzstadt im 17. und 18. Jahrhundert liegen Risse und Pläne in der Graphischen Sammlung der Anhaltischen Gemäldegalerie Dessau vor.

Codex diplomaticus Anhaltinus (1867–1883) [Urkunden 934–1400]. – Wäschke, Hermann: Urkunden und Akten des Stadtarchivs zu Dessau, in: Wäschke, Hermann: Geschichte der Stadt Dessau. Eine Festgabe zur Einweihung des neuerbauten Rathauses, Dessau 1901, S. 233–315. – Wäschke, Hermann: Regesten der Urkunden des Herzoglichen Haus- und Staatsarchivs zu Zerbst aus den Jahren 1401–1500, Dessau 1909. – Specht, Land- und Amtsregister, Tl. 1 (1935). – Erb, Andreas: Das Anhaltische Gesamtarchiv: neue Quellen zur Geschichte des Spätmittelalters und der Reformation in einem alten Archivcorpus, in: Sachsen und Anhalt 26 (2014) S. 213–216.

(8)Würdig, Ludwig: Chronik der Stadt Dessau von den frühesten Zeiten bis Ende 1875, Dessau 1876. – Anhalts Bau- und Kunst-Denkmäler nebst Wüstungen, hg. und bearb. von Franz Büttner Pfänner zu Thal, Dessau 1895. – Wäschke, Hermann: Geschichte der Stadt Dessau. Eine Festgabe zur Einweihung des neuerbauten Rathauses, Dessau 1901. – Bobbe, F.: Nikolaus Hausmann und die Reformation in Dessau, Dessau 1905 (Neujahrsblätter aus Anhalt, 2). – Heese, Bernhard: Die Dessauer Chronik, 1. Teil bis 1758, Dessau 1924/25. – Die Stadt Dessau, bearb. von Marie-Luise Harksen, Burg 1937 (Die Kunstdenkmale des Landes Anhalt, 1). – Häuserbuch der Stadt Dessau, 25 Lfgn., hg. von Franz Brückner, Dessau 1975 ff. – Jablonowski, Ulla: Bausteine zu einer Geschichte der Stadt Dessau [Beitragsserie zur Geschichte der Stadt Dessau von den Anfängen bis 1800, 20 Teile; Teil 1 und 2 gemeinsam mit Hans Harksen], in: Dessauer Kalender 24 (1980) bis 45 (2001). – Jablonowski, Ulla: Das Rote oder Blutbuch der Dessauer Kanzlei (1542–1584) im Kontext der Verwaltungs- und Rechtsgeschichte Anhalts im 16. Jahrhundert, Beucha 2002. – Kreissler, Frank: Aspekte der Residenzbildung: Dessau im 16. Jahrhundert, in: Die Fürsten von Anhalt. Herrschaftssymbolik, dynastische Vernunft und politische Konzepte in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hg. von Werner Freitag und Michael Hecht, Halle 2003 (Studien zur Landesgeschichte, 9), S. 160–170. – Kreissler, Frank: Das Dessauer Rathaus. Geschichte des Gebäudes und der städtischen Verwaltung, in: »Schauplatz vernünftiger Menschen«. Kultur und Geschichte in Anhalt/Dessau. Katalog zur Dauerausstellung des Museums für Stadtgeschichte Dessau, Berlin 2006, S. 55–80. – Jablonowski, Ulla: Jahre des Übergangs. Anhalt um 1560, mit Ausblicken bis 1590, I. Die Fürsten. Die fürstlichen Ämter, Zölle und Verkehr, in: Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Landeskunde 20 (2011) S. 31–70; III. Hof und Regierung, Schulden und Steuern, konfessionelle Entwicklung, Kriege und Krisen, in: Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Landeskunde 22 (2013) S. 77–116. – Deutschländer, Gerrit: Die Stadt- und Schlosskirche zu Dessau, ein Ort symbolischer Interaktion zwischen Hof und Bürgerschaft, in: Symbolische Interaktion in der Residenzstadt des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit, hg. von Gerrit Deutschländer, Marc von der Höh und Andreas Ranft, Berlin 2013 (Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, 9), S. 199–219. – Kreissler, Frank: Dessau bis 1900, Halle a. d. Saale 2015 (800 Jahre Dessau-Roßlau. Eine Stadtgeschichte, 1).

Frank Kreißler