Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Finsterwalde (Grabin)

Finsterwalde (Grabin)

(1) F. (1282 Dynsterwalde)), niedersorbisch Grabin (seit 1700), liegt im Süden von Brandenburg in der westlichen Niederlausitz. Durch die Stadt fließt die Schacke, die den ehemaligen Stadtgraben speiste und bei Doberlug in den Hammerteich entwässert.

F. gehörte mit der Niederlausitz bis 1304 zur Markgrafschaft Meißen, bis 1364 zur Markgrafschaft Brandenburg, bis 1368 zum Herzogtum Schweidnitz-Jauer und bis 1425 zum Königreich Böhmen. Erste nachweisliche Besitzer sind die sich nach Landsberg bei Halle nennenden Ministerialen von Landsberg von 1282 bis vor 1324. Nach mehreren kurzfristigen Besitzerwechseln (Bggf.en von Altenburg, Bergow, Ritter Biterolf, die Ileburg, Rodstock, Gorenzen, Landvogt Hans von Polenz) verkaufte die Adelsfamilie Pack Stadt und Schloss 1425 an Herzog Friedrich IV. den Streitbaren von Sachsen (1370–1428), seit 1423 Kurfürst (als solcher Friedrich I.), der die Herrschaft F. aus dem sich festigenden Verband des Mkgft.s Niederlausitz herauslöste. In den anschließenden zwei Jahrhunderten wurde die Herrschaft immer wieder als erbliches Lehen an adlige Vasallen gegeben: 1425 anteilig und 1437 endgültig an die Maltitz, 1519–1532 an die Minkwitz-Drehna sowie ab 1533 an die im engen Fürstendienst stehende Familie Dieskau. Im Zuge der Pfanderwerbung der Niederlausitz 1625 und endgültig 1635 kaufte Kurfürst Johann Georg I. (1585–1656) die Herrschaft von den Dieskaus zurück und wandelte diese, wie bereits 1624 Dobrilugk, in ein Amt um; Sitz des Amtmannes wurde das Schloss. Als solches verblieb F. in der 1657 entstandenen Sekundogenitur Sachsen-Merseburg (zur Einrichtung eines Apanagensitzes für den früh verstorbenen Friedrich Heinrich kam es nicht mehr, Nutzung als Witwensitz für seine Gemahlin Eleonore Wilhelmine nicht sicher) sowie auch nach dem Rückfall an die sächsische Kurlinie nach dem Aussterben der Merseburger 1738 selbständiges Amt, das aus Schloss, Stadt F. und 13 Dörfern bestand. Ab 1738 gehörte es zum Meißnischen Kreis. Mit der Niederlausitz kam F. 1815 an Preußen.

(2) Die Lage F.s an der Niederen Straße, dem bedeutenden Handelsweg von Halle/Leipzig über Torgau und Spremberg nach Breslau, wo zudem die Salzstraße über Jüterbog und Magdeburg nach Lüneburg abzweigte, beförderte die Entwicklung eines Marktes (opidum et castrum 1301) zur Stadt. Geschützt wurde der Ort durch eine im Rahmen des Landesbaus errichtete Burg, die wohl keinen slawischen Vorgängerbau kannte. 1336 werden in einer Urkunde des Ebf.s von Magdeburg wybilde vnde hus tzu Dinsterenwalde erwähnt, was die Existenz eines Stadt- bzw. Weichbildrechts nahelegt. 1418 wird F. Stat genannt, 1531 stedtlin.

Eine Stadtrechtsverleihung ist nicht überliefert. Markt- und Braurecht, Zunftbildung, Ratsverfassung und niedere Gerichtsbarkeit waren ausgeübte städtische Rechte. Ein Schultheiß wird 1305, ein Bürgermeister 1466 (im Zusammenhang mit der Bestellung eines Orgelwerkes in Freiberg) erwähnt. Im 16. Jahrhundert gab es neben ihm drei Ratmannen, Stadtrichter, Stadtschreiber und Viertelsmeister. Beim Stadt- bzw. Landesherrn blieb die Obergerichtsbarkeit auch in den folgenden Jahrhunderten, der Schlossamtmann ernannte und kontrollierte die städtischen Richter.

Im Landsteuerregister von 1474 sind 33 angesessene Männer erfasst. 1719 wurden 250 Feuerstätten gezählt, was auf über 1000 Einwohner schließen lässt. Eher etwas unter diesem Niveau dürften die Verhältnisse im 17. Jahrhundert und bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts gewesen sein; um 1800 zählte F. ca. 1600 Einwohner. Schwankungen brachten Seuchen 1552, 1584, 1599 (ca. 350 Tote), 1626 und mehrere Plünderungen im Dreißigjährigen Krieg (1631 [?], 1633, 1637, 1642 gravierend, 1643, 1645).

Der Anteil der Sorben dürfte bei etwa 10 % gelegen haben (mitunter findet sich die Angabe von ca. 80 %). In sozialer Hinsicht entsprach F. einem Handwerkerstädtchen, Landwirtschaft im Haupterwerb war bescheiden (im 15. Jahrhundert 14 Hüfner, 1719 19).

Märkte sind nach Ende der Residenzzeit überliefert, 1663 privilegierte Herzog Christian I. einen Woll- und Viehmarkt, seit 1666 durften jährlich je vier Vieh- und Jahrmärkte abgehalten werden. Herzog Christian I. ließ zudem 1672 eine Schönfärberei anlegen, in der auch die Kirchhainer und Dobrilugker Tuchmacher ihre Waren färben sollten. Von den Handwerken war die Textilproduktion bestimmend. 1385 gab es zwei Walkmühlen. 1525 ist die bedeutsame Tuchmacherinnung bezeugt, die in diesem Jahr die Heidemühle als dritte Walkmühle erwarb gegen den Widerstand des Stadtherrn Caspar von Minkwitz. Mitte des 16. Jahrhunderts war Finsterwaldisch Tuch ein Wertbegriff und 1555 auf der Leipziger Messe vertreten. Die Zahl der Tuchmachermeister schwankte: Um 1600 70, 1680 ca. 100, 1774 85, 1799 112. Erst im 18. Jahrhundert nimmt die Überlieferung zu den Innungen zu, die üblichen Gewerke der Nahrungsmittelverarbeitung, Hausbau und -ausstattung und Bekleidung waren vertreten. 1719 gab es an der Ostseite des Marktes eine Stadtbrauerei, die mit den zahlreichen brauberechtigten Schankstätten konkurrierte. 1675 zerstörte ein Brand 29 Malzhäuser. Aus einer Schießgesellschaft ging 1569 eine Schützengilde hervor, dem 1601 der Bau eines Schießhauses folgte, welches 1742 erneuert wurde.

Das älteste überkommene Stadtsiegel (entspricht dem Wappen) stammt von 1642: In Silber eine durchgehende rote Zinnenmauer, darauf ein gequaderter roter Rundturm mit einer beknauften blauen Kuppel und zwei übereinander stehenden schwarzen Fenstern. Das offene schwarze Tor darunter ist mit einem hochgezogenen silbernen Fallgitter versehen. Auf grünem Boden wächst vor der Mauer zu beiden Seiten von Turm und Tor je eine grünblättrige Linde.

(3) Möglicherweise war anfangs die große Marienkirche in Massen die ursprüngliche Pfarrkirche F.s, bevor sie deren Filialkirche wurde. F.s Hauptkirche St. Marien wird erstmals 1350 (1346?) erwähnt. Um 1500 verfügte der Kaland über einen eigenen Altar in der Kirche. Nach der spätestens 1539 (Visitationsprotokoll) unter dem Stadtherrn Otto I. von Dieskau durchgeführten Reformation war sie zur nunmehr Trinitatiskirche umgewidmet worden. 1584 wurde sie zum Teil abgebrochen, der Rest 1585 mit Renaissancegiebel und hohem Ziegeldach fertiggestellt. Sie markiert gemeinsam mit der Prettiner Schlosskirche den Beginn der Nachgotik in Sachsen.

Daneben befand sich an der Baderwiese die Marienkapelle. 1497 wird eine Kapelle zum Heiligen Kreuz außerhalb der Stadt genannt (wohl mit Hospital), deren Altar der Stadtherr Christoph von Maltitz d. Ä. gestiftet hatte, jedoch ohne Zustimmung des Landesherrn Hzg.s Georg von Sachsen. Um 1600 übernahm der Magistrat die Zuständigkeit für das Hospital vor dem Luckauer Tor.

Die Dieskaus beförderten als Stadtherrn entscheidend die bauliche Entwicklung der Kirche, die zu ihrer Grablege wurde, wie mehrere Grabplatten und Epitaphe bezeugen; von denen der Erbauer der Kirche, Otto II. und Ursula von Dieskau, sind nur noch zwei Bronzemedaillons erhalten. Daneben sorgten sie für die innere Gestaltung (1594 Altar, 1596 Orgel, 1598 Taufstein, um 1619 Kanzel). Weiter ist die Kirche Memorialstätte für die Familie Teckwitz, im 17. Jahrhundert kam das Epitaph des Amtmanns Hieronymus Krappe (1597–1647) hinzu.

Im Zuge der Visitation 1539 wird ein (städtischer?) Schulmeister erwähnt, 1555 eine Schule bezeugt. 1722 ließ die Stadt ein neues Schulgebäude bauen, das von schlechter Qualität war. Förderlich waren Stipendien, die Otto II. von Dieskau gewährte und Christoph Lehmann (1568–1638, Polyhistor und Stadtschreiber von Speyer) und Barthel Schere (1574–1633, erster sorbischer Stipendiat an der Fürstenschule Grimma, Linguist) ein Studium ermöglichte.

(4) Die Altstadt (ca. 11 ha) hat einen annähernd rechteckigen Grundriss, der sich ebenso wie der verhältnismäßig große Markt nach Norden deutlich verjüngt (von ca. 400 Meter im Süden auf ca. 250 im Norden) und leicht abgerundet ist. Rechtwinklig aufeinandertreffende Straßen bilden annähernd viereckige Quartiere, der regelmäßige Grundriss spricht für eine Kolonisationsstadt. F. verfügte über Palisaden mit Stadtgraben und mindestens zwei Stadttore: das Luckauer, später Berliner Tor (1575 Tor an der Windmühle) nach Norden und das Lange, später Calauer oder Cottbuser Tor nach Osten. Im Visitationsprotokoll von 1539 wird Naundorf als Vorstatt bezeichnet. Verheert wurde das Stadtbild durch Brände 1578, 1596, extrem 1675 (203 von 208 Wohnhäuser, Rathaus, Archiv), 1675 und 1727.

1492 wird der Bau einer neuen Ratsstube erwähnt, für die 1568 ein Teppich gekauft wurde. Das heutige Rathaus im Süden des Marktes konnte nach dem Stadtbrand von 1675 erst 1739 im schlichten Barock instandgesetzt werden. Die ältesten Häuser befinden sich in der Schlossstraße (2, 3, 6) zwischen Markt und Schloss. 1572 erfolgte der Umbau des ältesten erhaltenen bürgerlichen Wohnhauses durch den Vetter des Schlossherren, Curd von Dieskau, zum Wohnsitz eines Adligen mit reichgestaltetem Renaissanceportal, Curds Burg genannt.

Neben der Kirche wurde das Stadtbild von der Burg bzw. dem Schloss geprägt. Erste größere Baumaßnahmen am Schloss sind unter Heinrich I. von Maltitz wohl schon vor 1437 anzunehmen. Auf die Familie Dieskau geht im Wesentlichen der Bau des Schlosses, im Süden an die Altstadt angrenzend und von einem Graben umgeben, im 16. Jahrhundert zurück, besonders 1553–1597 unter Otto II. von Dieskau. Die Anlage gliedert sich in ein schlichtes Vorderschloss und ein im Renaissancestil reich gestaltetes Hinterschloss (Arkaden und Tonnengewölbe teilweise erhalten).

Huldigungen, Grablegungen (die der Familie Dieskau) oder Jagdaufenthalte waren Gelegenheiten zeremonieller Kommunikation zwischen Hof und Stadtgemeinde. Eine besondere Form der Einbindung der stadtherrlichen Familien in die Stadt stellte die Beteiligung der Ursula von Dieskau im Chor der Kantorei, während ihr Ehemann Otto II., dem Stand entsprechend, passives Mitglied der Kantorei blieb.

An alten Darstellungen sind Gemälde in der St. Marien-Kirche zu nennen, die wesentlich auf das bauliche Wirken der Familie Dieskau Bezug nehmen: zum Gedenken an den Feldoberst Otto von Dieskau von 1553 mit Darstellung von Schloss und Kirche und eines zum Gedenken an Magdalena von Dieskau von 1571 mit Motiv der Kirche. Hinzu kommt das Altartafelbild von Andreas Schilling von 1592, das wahrscheinlich die neue Trinitatiskirche zeigt.

(5) Überörtlich und überregional bedeutsam war das F.er Tuch. 1555 wurde es auf der Leipziger Messe angeboten. Im 17. Jahrhundert wurden schwarze Tuche aus F. bis in die Schweiz gehandelt und waren auf Messen in Leipzig, Naumburg oder Braunschweig vertreten. Die Tuchproduktion war für das Umland von Bedeutung, da die dort ansässigen Wollkämmer und Spinner zuarbeiten mussten. Allein die zum Schloss gehörigen Vorwerke hielten ca. 1600 Schafe. Als Sitz eines Amts ab 1625 besaß F. eine zentrale Funktion für den Amtsbezirk, Justiz-, Rent- und Forstamt wurden in F. angesiedelt. Eine Mitgliedschaft in Landständen und in Städtebünden ist nicht bekannt. F.r Hutmacher gehörten 1607 zur Lübbener Lade.

Ausdruck städtischen Selbstbewusstsein war die Weigerung der Stadt, 1523 an einer vom Stadtherrn Caspar von Mickwitz befohlenen Strafexpedition gegen Bauern der umliegenden Dörfer Betten und Massen teil zu nehmen.

(6) Residenzstadt war F. insbesondere für das sächsische Adelsgeschlecht derer von Dieskau 1533–1625, das Verhältnis zu den anderen Familien bleibt zu erforschen. Unter ihr setzte vor allem in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein Ausbau ein, der Schloss und Stadtkirche betraf. Trotz zahlreicher Brände und Verwüstungen zeugen noch heute Bauwerke von dieser Funktion. Einher ging dieses mit dem Aufblühen der auf den Export ausgerichteten Tuchindustrie, vor allem der Absatz über die Leipziger Messen ist zu nennen. Indizien für eine Verflechtung sind die Aktivitäten der Ehefrau des Stadtherrn in der Kantorei der Kirche und die fähigen Schülern gewährten Stipendien zum Universitätsbesuch. Ausgangslage dafür war, dass F., seit dem Landesausbau im Schutz einer Burg und an überregionalen Verkehrsverbindungen gelegen, zu einer gewissen Bedeutung gelangt war; zur Stadt entwickelte sich F. wohl erst im späten 14. und 15. Jahrhundert Die wenigen erhaltenen Quellen lassen auf ein selbstbewusstes Handwerker- und Händlerbürgertum schließen, deren wirtschaftlicher Schwerpunkt sich im Tuchgewerbe befand.

(7) Aufgrund der vielen Brände besitzen mittelalterliche oder frühneuzeitliche schriftliche wie bauliche Quellen Seltenheitswert. Zudem fehlen Untersuchungen zur Wirtschafts-, Finanz- und Sozialgeschichte. Archivalien, vorwiegend ab dem 16. Jahrhundert, befinden sich im Brandenburgischen Landeshauptarchiv Potsdam, im Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt an den Standorten Magdeburg und Wernigerode, im Hauptstaatsarchiv Dresden (HStAD) und in der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek. In letzterer (Teil Deutsche Fotothek) existiert ein Dia der verschollenen aquarellierten Federzeichnung von Christian Rosenlecher: Wahrer Prospect der Stadt Finsterwalda von 1724. Neben den möglichen bildlichen Darstellungen von Kirche, Rathaus und Schloss auf Gemälden aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in der Stadtkirche, ist die kartographisch-bildliche Umrissskizze der Stadt bei Matthias Öder von 1594 im Rahmen der Ersten Kursächsischen Landesvermessung im HStAD (u. a., Abt. XI, Schrank I, Fach 1, Nr. 8a) die früheste Darstellung. Realienkundliche Quellen zu Schloss, Stadt und zur Volkskunde der westlichen Niederlausitz (insbesondere zur Lied- und Sangesgeschichte) bietet das Kreismuseum. Das Museum besitzt eine umfangreiche heimatgeschichtliche Bibliothek. Gemeinsam mit seinem Förderverein gibt es seit 1996 die Jahresschrift Der Speicher heraus.

(8)Schlobach, Otto: Zur Geschichte der Stadt Finsterwalde, Finsterwalde 1892. – Gericke, Wilhelm, Mai, Gottfried: Geschichte der Stadt Finsterwalde und ihrer Sänger, Augsburg 1979. – Ernst, Rainer, Weber, Olaf, Woitzik, Manfred: Finsterwalde. Ein Lesebuch zur Geschichte der Stadt, Finsterwalde 1994. – Aurig, Rainer: Art. „Finsterwalde“, in: Städtebuch Brandenburg und Berlin (2000), S. 150–156. – Woitzik, Manfred: Genius Loci, Finsterwalder Siedlungs- und Baugeschichte, Leipzig 2010.

Rainer Aurig