Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Wildenfels

Wildenfels

(1) In unmittelbarer Nähe zur gleichnamigen Burg wurde das spätmittelalterliche W. auf einem schmalen, nach drei Seiten abfallenden Bergsporn unweit der Einmündung des W.er Bachs in die Zwickauer Mulde angelegt. Zur Entstehung des Ortes trug die Lage an der von Halle/Leipzig über Altenburg und Zwickau nach Böhmen führenden Verbindungsstraße bei, von der bei W. ein Seitenweg nach dem Vogtland abzweigte.

Der 1253 erstmals sicher belegte Herrensitz diente als Residenz der seit 1233 nachgewiesenen Reichsministerialen von W., deren Verortung im Herrschaftsgefüge der Region große Schwierigkeiten bereitet. Die Forschung geht von einer Doppelherrschaft Hartenstein-W. und einer Lehnsabhängigkeit der w.ischen Burgmannen von den in Hartenstein ansässigen Burggrafen von Meißen aus. Diese Verbindungen lösten sich, als Anfang des 15. Jahrhunderts beide Geschlechter aus Geldnot ihre Besitzungen verpfänden mussten. In diesem Zusammenhang büßte W. seine Residenzfunktion zwischenzeitlich ein. Pfandinhaber von W. waren die Herren von Tettau (1407–1422), die Herren von Pflugk (1422–1450), die Burggrafen von Meißen aus dem Hause Plauen (1450–1454), die Herren von Weida (1454–1531) und die Grafen von Schwarzburg (1531–1535). 1535 gelang den Herren von W. ein Rückerwerb ihres Stammsitzes unter Geltendmachung landeshoheitlicher Rechte, jedoch in der nunmehrigen Eigenschaft der Herrschaft W. als sächsisches Reichsafterlehen. Als mit Anarg Friedrich von W. das Geschlecht 1602 ausstarb, übernahmen die Grafen von Solms den Besitz. Ihre dauerhafte Präsenz in W. begann allerdings erst einige Jahre später und wurde um 1700 nochmals kurz unterbrochen. Der sich bald Solms-W. nennende Familienzweig schloss 1706 einen Vertrag, der die Herrschaft unter Beibehaltung von Sonderrechten in das Kurfürstentum Sachsen eingliederte. Die Sonderrechte, u. a. beträchtliche Steuervorteile, blieben bis Mitte des 19. Jahrhunderts bestehen. Ihren Höhepunkt erlebte die Hofkultur unter den Grafen Friedrich Ludwig (1708–1789) und Friedrich Magnus I. (1743–1801) von Solms.

(2) Zur Keimzelle von W. wurde ein an den Herrensitz angelehnter Burgflecken, dessen Weiterentwicklung zum Marktort durch planmäßige Stadtanlage mit quadratischem Marktplatz und Stadtmauer erfolgte. 1425 wird W. als »städtlein« erwähnt. Der ovale Mauerring mit nur einem Tor schloss anfangs etwa 24 Häuser ein, für spätere Erweiterungen bot das bergige Gelände wenig Spielraum. Jedoch ist von der teilweisen Umgestaltung des Stadtbildes nach den Stadtbränden von 1589, 1636 und 1706 auszugehen.

Als eine der kleinsten sächsischen Städte zählte W. um 1550 nur etwa 300 Einwohner. Im Dreißigjährigen Krieg wurde W. 1632 und 1641 durch die Pest entvölkert, erholte sich aber durch die von der Herrschaft gewährten günstigen Ansiedlungs- und Gewerbebedingungen und umfasste 1706 75 Wohnhäuser. Da das beengte Städtchen dem herrschaftlichen Willen nach Ansiedlung möglichst vieler Menschen nicht mehr entsprechen konnte, legte Johann Friedrich von Solms 1650 die nach ihm benannte Vorstadt Friedrichsthal an.

Als Stadt minderen Rechts besaß W. keinerlei Gerichtsbefugnisse. Alle wichtigen Rechte lagen in den Händen der Herrschaft bzw. des Amtmanns. Die wenigen der Stadt überlassenen Verwaltungsaufgaben vollzog ein obrigkeitlich eingesetzter Richter. Das Bestreben der Grafen von Solms, die Rechte der Bürger weiter einzuschränken, gipfelte 1706 in der freilich erfolglosen Forderung, das Stadtrecht aufzugeben. Demgegenüber beförderten die Stadtherren eine freizügige Gewerbeentwicklung. Die im Vergleich zu anderen sächsischen Landesteilen deutlich geringere Steuerlast schuf eine handwerkliche Vielfalt, die nach 1700 mehr als 15 Berufszweige ausmachte. Ein Zusammenschluss der Gewerbe zum »Großen Handwerk« erhielt 1576 die ältesten bekannten Innungsartikel. Von ihm spalteten sich später zahlreiche weitere Innungen ab. Um 1800 besaßen 31 Häuser das Braurecht, dem herrschaftliche Ordnungen von 1706, 1749 und 1789 zugrunde lagen. Ein Jahrmarkt ist für 1633 bezeugt, um einen weiteren Jahrmarkt und einen Wochenmarkt suchte Gf.in Anna Maria von Solms 1653 beim sächsischen Kurfürsten vergeblich an. Zur Sicherung der Hofhaltung und herrschaftlichen Eigenwirtschaft wurde die Bürgerschaft in erheblichem Umfang zu Fronen und Wachtdiensten herangezogen.

Die soziale Differenzierung der Stadtbewohner ist kaum erforscht. Eine städtische Oberschicht fehlte. Höhere herrschaftliche Beamte wohnten im Schloss und tauchen in den Bürgerlisten nicht auf. Das Handwerk wurde ausschließlich vom Kleinbürgertum repräsentiert.

(3) In vorreformatorischer Zeit gehörte W. zum Dekanat trans Muldam im Bistum Naumburg. Im Spätmittelalter gab es kein eigenes Gotteshaus. Inwieweit ursprünglich eine in der Literatur erwähnte Mitbenutzung der Schlosskapelle durch die Stadtbürger erfolgte, bedarf der Überprüfung.

Erst 1577 wird eine Stadtkirche erwähnt, die außerhalb der Stadtmauer auf einem künstlichen Plateau lag und nach mehrfacher Brandzerstörung (1589, 1636) mit Turm wiedererrichtet wurde, ansonsten von den Stadtherren aber nur wenig Förderung erfuhr. Ihr Augenmerk richtete sich stärker auf die Dorfkirche im benachbarten Härtensdorf, in der sich bis 1602 die Familiengrablege der Herren von W. befand, und die noch bis ins 19. Jahrhundert als das eigentliche sakrale Zentrum der Herrschaft W. gelten muss. Der Härtensdorfer Pfarrer führte seit dem 17. Jahrhundert den Titel eines Hofpredigers, die Filialkirche W. erhielt von 1677 bis 1686 kurzzeitig und ab 1717 dauerhaft ein Diakonat und wurde erst 1866 zur selbständigen Parochie. Hingegen ist ein Schulmeister schon 1581 belegt. Die Schaffung weiterer Lehrerstellen 1674 und 1773 geht auf die Grafen von Solms zurück. Alle Kirchen- und Schulstellen standen unter herrschaftlichem Patronat.

Die Einführung der Reformation begann 1529 und ist wesentlich durch die Mitarbeit von Anarg Heinrich von W. in der kfl.en Visitationskommission für den Zwickauer Raum vorangetrieben worden. Unter den Grafen von Solms entwickelte sich W. zu einem Zentrum pietistischer Frömmigkeit.

(4) Architektonisch bestand ein deutlicher Kontrast zwischen dem weiträumigen, im 18. Jahrhundert durch Teich- und Parkanlagen zusätzlich erweiterten Schlosskomplex und der Beengtheit des Stadtareals. Stärkstes Zeichen der völligen Unterordnung unter den Stadtherrn war das Fehlen eines Rathauses. Für die Existenz repräsentativer Bürgerhäuser gibt es keinen Anhaltspunkt. Vermutlich nach einem der Stadtbrände kauften die Stadtherren die dem Schloss nächstgelegenen Hausgrundstücke zur Eigennutzung auf. Der Sitz der Amtsverwaltung blieb aber auf den Schlosskomplex konzentriert.

Schloss und Stadt waren über eine Brücke miteinander verbunden. Da diese den einzigen Zugang zum Schloss darstellte, erfolgten die als Demonstrationsmittel landesherrlicher Souveränität genutzten Ein- und Auszüge der Herrschaftsbesitzer stets unter den Augen der Bürgerschaft durch das Stadtzentrum.

(5) Da die Herrschaft W. nach mehrfachen Gebietsverlusten in der frühen Neuzeit nur zwölf Orte bzw. Ortsteile in zersplitterter Lage umfasste und damit zu den kleinsten Herrschaftsgebilden Mitteldeutschlands überhaupt gehörte, kann von einer überregionalen Bedeutung der Stadt nicht gesprochen werden. Politisch blieben Stadt und Herrschaft bedeutungslos. Als Handelsplatz und Gewerbestandort konnte sich W. nicht gegen das benachbarte Zwickau behaupten. Dagegen entwickelte die Residenzstadt seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert eine bemerkenswerte kulturelle Ausstrahlung. So nahm der Dresdener Zeichner und Kunsttheoretiker Christian Leberecht Vogel (1759–1816) als gfl.er Hofmaler und Erzieher von 1780 bis 1804 seinen Wohnsitz in W. Die in der Stadt etablierte Bildhauerwerkstatt wurde durch höfische Auftragsarbeiten und das Vorhandensein bedeutender Kalkstein- bzw. Marmorbrüche gefördert und erlangte Bekanntheit in ganz Sachsen. Außerdem wurde 1776 die Freimaurerloge »Zum Goldenen Apfel« gegründet, deren Führung Friedrich Magnus I. von Solms übernahm und die 1781 ihren Sitz nach Dresden verlegte. Welche Rückwirkungen sich dabei auf die Stadt ergaben, bleibt zu untersuchen.

(6) Unter den Geschlechtern, die W. besaßen, haben vornehmlich die Herren von W. und die Grafen von Solms zur Stadtentwicklung beigetragen. Dies geschah in der Absicht, landesherrliche Souveränität auf kleinstem Raum darzustellen und begründete ein ambivalentes Verhältnis zur Bürgerschaft. Einerseits gab die starke Dominanz der Stadtherren W. ein deutlich herrschaftliches Gepräge. Ein städtisches Selbstbewusstsein konnte sich nicht entwickeln. Der Tendenz, städtische Rechte zurückzudrängen stehen jedoch andererseits Bemühungen um wirtschaftliche Prosperität und kulturelle Ausstrahlung gegenüber, die besonders im 18. Jahrhundert Früchte trugen und der abgelegenen Stadt zu gesteigerter Beachtung verhalfen. Immer mehr geriet dabei der Versuch, verlorene politische Bedeutung durch landesväterliche Untertanenfürsorge zu kompensieren, in den Blick. Dass sich das herrschaftliche Repräsentationsstreben weit stärker auf das Schloss als auf die Stadt konzentrierte, ist bis heute architektonisch erkennbar. Ebenso spiegelt die Aufnahme des Solmsschen Familienwappens in das W.er Stadtwappen die einstige Herrschaftsbeziehung wider.

(7) Ungedruckte Quellen finden sich vor allem im Staatsarchiv Chemnitz, namentlich im Bestand 30861 Herrschaft Wildenfels. Eine eigene Abteilung bilden die Gerichtsbücher von Wildenfels (Bestand 12613) mit einer Überlieferung ab der Mitte des 16. Jahrhunderts.

(8)Bär, Anton: Schloß und Herrschaft Wildenfels, in: Glückauf 23 (1903) Nr. 2 und 3. – 750 Jahre Wildenfels Kreis Zwickau: 1233–1983, hg. von Heinz Jahn, Wildenfels 1983. – Vogel, Gerd-Helge: Kunst und Kultur um 1800 im Zwickauer Muldenland, Zwickau 1996, S. 11–27. – Mittlacher, Klaus P.: Baualterspläne für die Burg Wildenfels und Pläne zur städtebaulichen Entwicklung der Stadt Wildenfels für den Zeitraum von 1170 bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert, in: Burgenforschung aus Sachsen 13 (2000) S. 108–122. – Billig, Gerhard: Pleißenland – Vogtland. Das Reich und die Vögte, Plauen 2002, S. 54 f.

Michael Wetzel