Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Hapsal (Haapsalu)

Hapsal (Haapsalu)

(1, 2) H. (mnd. Hapsell, lat. Hapsellensi) liegt am Südufer der Hapsal-Bucht (estn. Läänemeri), einer weit nach Osten ins Land reichenden Bucht der Ostsee. Südlich der Stadt lag auf einer Anhöhe inmitten einer sumpfigen Niederung die Burg. Bis ins 15./16. Jahrhundert hinein war die Bucht schiffbar, ehe ihr nördlicher Teil verlandete. Ein reger Schiffsverkehr ist für die ältere Zeit anzunehmen und dürfte durch die Entstehung H.s noch zugenommen haben. Eine kontinuierliche Besiedlung H.s setzte wohl erst ab Mitte des 13. Jahrhunderts und in Verbindung mit der Stadtgründung ein. Die Gründung H.s gerade an dieser Stelle war bedingt durch die Lage zwischen der offenen See im Westen und der Halbinsel Nukö (estn. Noarootsi) sowie anderer schmaler Meerengen im Osten, die dem weiter landeinwärts gelegenen Teil der Bucht den Charakter eines Binnengewässers verliehen. Mehrere Landstraßen verbanden H. mit Reval (Tallinn), Leal (Lihula) und Pernau (Pärnu).

H.s Stadtwerdung wurde bedingt durch die Gründung des Bm.s Ösel-Wiek (Saare-Lääne) nach der Eroberung Estlands 1228 (endgültig erst 1234/36); der Bischof erhielt seinen Sitz in H., die Domkirche wurde zwischen 1250 und 1270 erbaut. Vom Bischof Hermann I. von Buxhöveden (1262–1285) erhielt H. 1279 das rigische Stadtrecht. Die bischöfliche Burg wurde 1284 erstmals erwähnt. Der Stadt, die schwankend als stadt, als villa forensi, hakelwerck und fleck bezeichnet wird, gelang es nicht, über den Status eines regionalen Handwerks- und Handelszentrums hinauszukommen, weil ihre Entwicklung durch die verlandende Meerenge behindert wurde. Die Residenzfunktion verlor H. mit dem Tod des letzten Bf.s von Kurland und Ösel-Wiek 1583. Im Livländischen Krieg (1558–1583) und im Nordischen Krieg (1700–1710) ist H. weitgehend zerstört worden, so dass ältere Bausubstanz fast völlig verloren gegangen ist.

Ungefähr von der Mitte des 13. bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts dürfte der Stadtkern um die Bf.sburg und den alten Marktplatz bebaut worden sein. Um 1400 entstanden erste Steinhäuser, eine Stadtmauer dürfte im 15. Jahrhundert entstanden sein und eine Fläche von ca. acht Hektar umfasst haben; bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts gab es eine Erweiterung westlich und südwestlich der Bf.sburg, die eine Verdoppelung des Stadtareals bedeutete. Der Grundriss des älteren Stadtteils wies drei parallele, auf die Bf.sburg ausgerichtete Straßen auf, die in südöstlich-nordwestlicher Richtung verliefen; die Anlage lässt auf eine planmäßige Entwicklung schließen.

Die einheimische estnische Bevölkerung dürfte sich am Aufbau der Stadt beteiligt haben, unterschiedliche Baumethoden und -typen sind archäologisch nachweisbar. Ausdrücklich wird im Stadtrechtsprivileg von 1279 auf Neugetaufte hingewiesen, die die städtischen Fischereiplätze und Weiden erwerben durften wie die aus der Fremde hinzugezogenen Christen. Zugleich ist dies ein Indiz für städtische Nutzungsrechte im Umland. In der Umformung des Stadtrechts an H.er Verhältnisse 1294 wird ausdrücklich auf die Anwesenheit schwedischer Bewohner und ihr Erbrecht hingewiesen. Nach diesem Recht lag die Verwaltung der Stadt in Händen des Rats und eines Vogts; Zusammensetzung und Funktion des Rats bleiben unklar, der Vogt fungierte als Richter. 1391 wurde das Stadtrecht geändert und festgelegt, dass der Vogt zusammen mit dem Rat und mit dem Drost des Bf.s das Gericht zu halten hat. Dem Bischof stand neben der geistlichen Jurisdiktion die höchste Gerichtsbarkeit sowohl in der Stadt als auch im Stift zu. Bischof Johann von Kiewel bestätigte das Privileg von Bischof Hermann von Buxhöveden.

Wirtschaftlich war H. neben der erwähnten Fischerei und der Landwirtschaft handwerklich geprägt. Kaufleute und bischöfliche Ministeriale, die in der Stadt wohnten, bildeten ein weiteres Element. Im Stadtgebiet lagen eine Mühle und eine Schmiede, 1510 wird ein Barbier erwähnt.

(3) Die zwischen 1250 und 1270 errichtete Domkirche trug das Patrozinium des Hl. Johannes des Täufers, Schutzpatron des ganzen Bm.s Ösel-Wiek. Die Kirche bildete einen Flügel der bfl.en Burg. Er diente nicht nur Geistlichen, sondern auch Adligen als Grablege. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts wurde der Bau um eine Taufkapelle ergänzt. Ab Anfang des 15. Jahrhunderts ist eine Vikarie der Schwarzhäupter der Burg (Genossenschaft der bfl.en deutschen Dienstleute innerhalb der Burg) zur Ehre der Jungfrau Maria nachweisbar. Ab den 1440er Jahren ist eine Vikarie (Johannes dem Täufer geweiht), zu Beginn des 16. Jahrhunderts ferner ein dem St. Martin geweihter Altar zu finden. Schon im 14. Jahrhundert soll es eine Bibliothek gegeben haben.

Gegen Ende des 13. Jahrhunderts wurde das Hl.-Geist-Hospital (mit Kirche) errichtet, bereits 1298 zerstört und alsbald wieder aufgebaut. 1523 erscheint ein Siechenhaus. 1334 wird erstmalig eine Schule, wahrscheinlich der Domkirche angeschlossen, erwähnt.

Die ab 1521 nachzuweisende St. Antonius-Kapelle lag außerhalb der Stadtmauern, höchstwahrscheinlich 1535 wurde sie aufgelöst. Wohl seit Ende des 15. Jahrhunderts, belegt ab 1513 gab es noch eine dem Hl. Nikolaus geweihte Kapelle, an der ein Vasall des Bf.s, Claus Kele, eine Vikarie stiftete; eine weitere Vikarie kam noch im 16. Jahrhundert hinzu. Die Kapelle ist bemerkenswerterweise in nordsüdlicher Richtung gebaut, was darauf zurückzuführen ist, dass es sich um den Umbau eines profanen Gebäudes (eventuell eines Speichers) handelte.

Reformatorische Tendenzen machten sich seit den 1520er Jahren bemerkbar. 1524 gestattete Bischof Johann von Kiewel die Verkündigung der evangelischen Lehre, größere Konflikte sind nicht feststellbar.

(4) Der Ausbau der Bf.sburg ist bisher nicht geklärt. Ob es einen baulichen Zusammenhang mit der Klausur und der Kirche oder ob die kastellartige Burg allein errichtet wurde, ist offen. Für den selbständigen Bau der Burg spricht ihre Lage, da sie den gesamten Höhenrücken zum Festland einnimmt. Auf diese Weise wurde der Landzugang zur Stadt von der Burg kontrolliert. Unter Bischof Johann von Kiewel (1515–1527) wurde die Burg weiter ausgebaut.

Das Bild der Stadt wurde im 13. Jahrhundert durch einräumige Holz-/Blockhäuser, im 14. Jahrhundert durch vergrößerte, d. h. zweiräumige Blockhäuser geprägt; Fachwerkbauten sind nicht auszuschließen. Sie ruhten auf Halbkellern, die aus Feldsteinen gemauert waren. Nachgewiesen sind kieshaltige Pflasterschichten aus dieser Zeit. Seit der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert erschienen die ersten Steingebäude, die überwiegend direkt an der Straße standen und die Holz-/Blockhäuser in den hinteren Grundstücksteil verdrängten. Aus dem 15. Jahrhundert stammen auch die ältesten Spuren einer Mauer, die wohl nicht das gesamte Stadtgebiet umschloss (der Hafen an der Ostsee blieb vermutlich frei). Über die Gestaltung des Rathauses oder weiterer kommunaler Gebäude ist nichts bekannt.

(5) Die Größe der H.er Feldmark ist trotz einer Grenzbeschreibung von 1323 unklar. In ihrem Umland verfügte H. über keine nennenswerten Rechte. Im Zusammenhang mit dem Stadt-, Burg- und Kirchenbau ab Mitte des 13. Jahrhunderts, als ein größer Bedarf nach Bausteinen entstand, hat man im Küstengebiet von Ridala einen Steinbruch geschaffen; für die Burg ist die Herkunft aus diesem Steinbruch gesichert.

H. unterhielt Handelsbeziehungen zu Reval (Tallinn) und insbesondere zu dem näheren Umland, als Waren werden Salz, Bier und Getreide erwähnt. Im 15. Jahrhundert wurde ein Leuchtturm für die Schifffahrt aufgestellt; H. bat Reval, dasselbe zu tun. Als Stadt war H. war für die Versorgung der Bischöfe wichtig, jedoch gelang es der Stadt nie, überregionale ökonomische oder politische Bedeutung zu gewinnen.

(6) H. gehörte, obwohl Bf.sitz und -residenz, zu den minderbedeutenden Städten Livlands, der es nie gelang, über den Rang eines regionalen Handwerks- und Handelszentrums hinauszukommen. H. wird in der Überlieferung meist als Ort der bfl.en Burg als religiöses, militärisches und Verwaltungszentrum genannt, weniger als Ort von Handel und Handwerk. Die Überlieferungslage erlaubt so gut wie keine Aussagen zur personellen, sozialen und kulturellen Verflechtung von Stadt und Bf.shof. Kaiser Karl V. bestätigte 1527 förmlich die Zugehörigkeit des Bf.s von Ösel-Wiek zum Heiligen Römischen Reich und betrachtete ihn als Reichsfürsten.

(7) Ungedruckte Quellen liegen in Dorpat (Tartu), Estnisches Historisches Archiv (Eesti Ajalooarhiiv, Fond Nr. EAA 992), im Archiv des Historischen Museums Estlands (Eesti Ajaloomuuseum, Fond Nr. AM 193) sowie in Reval (Tallinn) Stadtarchiv (Tallinna Linnaarhiivi, Fond TLA 230). Weiteres Material bietet das Reichsarchiv Kopenhagen (Fond: »Fremmed proveniens, Lifland, Osel stift«, Registrant 3A).

Index corporis historico-diplomatici Livoniae, Esthoniae, Curoniae oder Kurzer Auszug aus derjenigen Urkunden-Sammlung, welche für die Geschichte und das alte Staatsrecht Liv-, Esth- und Kurlands … aus dem geheimen ehemaligen Deutsch-Ordens-Archiv zu Königsberg … zusammengebracht worden ist (Vol.1–2), hg. von Carl Eduard Napiersky, Riga/Dorpat 1833–1835. – Liv-, Est- und Kurländisches Urkundenbuch, I, Bde. 1–12 (1853–1910); II, Bde. 1–3 (1900–1914). – Livländische Güterurkunden (1908–1923). – Herzog Albrecht von Preußen und Livland, Bd. 3 (2002).

(8)Kivimäe, Jüri: Iuravit iuxta formam prescriptam. Zur Rechtslage der Kleinstädte des Bistums Ösel-Wiek am Ausgang des Mittelalters, in: Festschrift für Vello Helk zum 75. Geburtstag. Beiträge zur Verwaltungs-, Kirchen- und Bildungsgeschichte des Ostseeraumes, hg. von Enn Küng und Helina Tammann, Tartu 1998, S. 119–136. – Pärn, Anton: Über den Urbanisierungsprozess in Westestland, im ehemaligen Bistum Ösel-Wiek, in: Culture Clash or Compromise? The Europeanisation of the Baltic Sea Area 1100–1400 AD. Papers of the XIth Visby Symposium held at Gotland Centre for Baltic Studies, Gotland University College, Visby, October 4th–9th, 1996, hg. von Nils Blomkvist, Visby 1998 (Acta Visbyensia, 11), S. 109–123. – Pärn, Anton: Die Rolle der Wasserstraße bei der Ortswahl der Stadt Haapsalu (Hapsal), in: Lübeck Style? Novgorod Style? Baltic Rim Central Places as Arenas for Cultural Encounters and Urbanisation 1100–1400 AD, Transactions of the central level symposium of the Culture Clash or Compromise (CCC) project held in Talsi September 18–21 1998, hg. von Muntis Auns, Riga 2001 (CCC papers, 5), S. 97–107. – Pärn, Anton: Die Städtegründungen in Estland – Eine Analyse der Einflüsse auf die Siedlungsentwicklungen, in: The European Frontier. Clashes and Compromises in the Middle Ages. International symposium of the Culture Clash or Compromise (CCC) project and the Department of Archaeology, Lund University, held in Lund October 13–15 2000, hg. von Jörn Staecker, Lund 2004 (Lund studies in medieval archeology, 33), S. 259–282. – Bernotas, Rivo: Estonian small towns in the Middle ages: archaeology and the history of urban defense, in: Ajalooline Ajakiri: Tartu Ülikooli ajaloo osakonna ajakiri 3 (2013) S. 265–297. – Pärn, Anton: Die Gründungsstädte am Beispiel Estlands – Problemstellungen, in: Gründung im archäologischen Befund, bearb. von Andreas Diener, Paderborn 2014 (Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit, 27), S. 105–112. – Pärn, Anton: Possibilities of urban archaeology in interpreting an early town plan of Haapsalu, in: Estonian Journal of Archaeology 18 (2014) S. 135–155.

Edgars Plētiens