Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich

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STETTIN C.7. (Szczecin)

I.  Der Name S., auch Stetin, Stetyn, Stityn, Ende des 16. und im 17. Jh. Alt-S., kommt vermutl. vom slaw. Wort für Borste, Kardendistel. In diese Richtung weist zudem der nord. Name Borstenburg (Burstaborg, Bursteburgh). In der schriftl. Überlieferung tritt S. als Hauptstadt des Landes und Mutter der pommerschen Städte in den Viten Ottos von Bamberg hervor. 1121 mußten sich die Einw. vorübergehend der milit. Gewalt des Polenhzg.s Bogislaw III. Schiefmund unterwerfen und wurden1124 und 1128 von Otto von Bamberg missioniert. Wartislaw I. von Pommern, der erste Greifenhzg., verfügte über einen Hof in S. Sein polit. Einfluß war jedoch relativ bescheiden. Die Stadt verblieb im Herrschaftsbereich der Greifendynastie bis zu deren Erlöschen. Schon unter Bogislaw I. war sie hzgl. Münzstätte, wo der Hzg. Pfennige mit seinem Namen prägen ließ. Im hzgl. Itinerar gewinnt ihr Name in den 1240er Jahren rasch an Bedeutung. S. wurde Hauptort der Herrschaft Barnims I., der sich seit 1244 in Urk.n als Hzg. von S. bezeichnete. 1243 stiftete seine Gemahlin ein Zisterziensernonnenkl.,welches zur Grablege seiner beiden Frauen wurde. Zwar ließ Barnim I. 1249 auf Bitten der Bürger die Burg niederreißen und übereignete ihnen den Burgplatz, dennoch behielt er wohl einen Hof, den er vermutl. erweiterte. Die Fürstenmacht blieb jedenfalls in der Stadt präsent. Dies umso deutl., als der Hzg. 1261/1263 auf dem ehemaligen Burggelände das Marienstift errichten ließ, welches die Funktion einer zentralen Grablege- und Memorialkirche übernahm und diese über zwei Generationen erfüllte. Barnim III. von Pommern-S. begann 1345 mit dem Bau eines steinernen Hauses, wogegen die Stadteinschritt. Im folgenden Jahr mußte sie sich jedoch dazu verstehen, dem Hzg. ein solches nebst Kapelle und Mauer zu errichten. An der dem Pommernmissionar Otto von Bamberg geweihten und von Barnim III. ausgebauten Kapelle gründete der Hzg. ein zweites Kollegiatstift. Diese wurde nunmehr hzgl. Begräbniskirche und Memorialstätte und blieb dies - seit der zweiten Hälfte des 16. Jh.s als Schloßkirche - bis zum Aussterben der Dynastie. Nach der Landesteilung von 1295 in die Hzm.er Pommern-Wolgast und Pommern-S., die bis 1464 Bestand hatte, führten zunächst nur die Hzg.e von S. diesen Namen inihrem Titel. Im Rahmen der sich für beide Linien in der Mitte des 14. Jh.s gleich herausbildenden Titulatur wurde S. auch Bestandteil des Titels der Wolgaster Hzg.e und später stets an der Spitze gen. Bogislaw X., der die pommerschen Teilherrschaften wieder vereinte, wählte S. als Hauptsitz seiner Herrschaft. Indem er seinen Herrschaftssitz repräsentativ ausbaute, die sich entwickelnde Zentralverwaltung zunehmend in S. tätig wurde und die hzgl. Münzprägung intensiv und zunehmend ausschließl. in der Stadt betrieben wurde, prägte sich der Residenzcharakter S.s entscheidend aus. Die erneuteLandesteilung 1532/1541 reduzierte die Residenzfunktion S.s auf das Hzm. Pommern-S., welches nunmehr die pommerschen Territorien östl. der Oder umfaßte. Dennoch erlebte S. als hzgl. Res. in dieser Zeit seine größte Entfaltung, eine Periode, die mit dem Erlöschen der Greifendynastie 1637 endete. Auch unter den nachfolgenden Landesherren blieb die Stadt Verwaltungszentrum. - PL, Wojewodschaft Zachodniopomorskie.

II.

S. liegt etwa 70 km von der Ostsee entfernt am erhöhten Westrand der an dieser Stelle etwa 8 km breiten Oderniederung, die hier gerade noch den Übergang nach O ermöglicht. Die wend. Stadt zur Zeit Ottos von Bamberg bestand aus der Burgsiedlung und dem Suburbium. Die Zahl der Bewohner hat man auf etwa 5000 geschätzt, eine Zahl, die sich bis zum Ausgang des MA vermutl. etwa verdoppelte. Seit der Mitte des 12. Jh.s kam es südl. des Suburbiums zur Ansiedlung von Deutschen, die im 13. Jh. dominierend wurden. 1237 erhielten sie die Rechtsprechung über sämtlicheBewohner S.s., 1242 ist ein Schultheiß belegt. 1243 verlieh Hzg. Barnim I. der Stadt das Magdeburger Stadtrecht, 130 Hufen und wirtschaftliche Privilegien, wie Zollvergünstigungen und Fischereirechte. Zugleich bestimmte er S. zum Oberhof aller Städte dieses Rechtes in seinem Herrschaftsbereich. Der Stadtrat ist 1263, das Schöffenkollegium 1290 erstmals bezeugt. Es erfolgte eine grundlegende räuml. Umgestaltung der Stadt, die aus mehreren Siedlungskernen zusammenwuchs und ummauert wurde. Schon im 13. Jh. gab es vier Kirchspiele. Franziskaner und Zisterzienserinnen, später Kartäuserund Karmeliter siedelten sich an. Wirtschaftl. dominierend war der Handel, v. a. mit vor Schonen gefangenem Hering - eine Vitte auf Falsterbo wurde in der ersten Hälfte des 14. Jh.s erworben - und Getreide. Die Stadt erwarb Landbesitz und das Münzrecht. Bestrebungen S.s, das Niederlagsrecht für den Oderhandel durchzusetzen und den Getreidehandel an sich zu ziehen, brachten die Stadt in Konflikt mit umliegenden Städten, im 16. Jh. v. a. mit Frankfurt/Oder. S. war Mitglied der Hanse, spielte als solches aber keine der wirtschaftl. Stellung adäquate Rolle. Dies lag mit an der Präsenz desLandesherren in der Stadt, die sich seit dem 13. Jh. tendenziell steigerte. Infolge des S.er Erbfolgestreites vermochte die Stadt ihre Unabhängigkeit vorübergehend auszubauen, wurde aber seit der Regierungszeit Bogislaws X. in dieser wiederum eingeschränkt.

III.

Der Hof Wartislaws I. lag vermutl. im Bereich der Burgsiedlung. Von seinem Aussehen ist nichts bekannt. Erst die Reste des in der Regierungszeit Barnims III. errichteten Steinhauses und der Kapelle sowie des Gruftanbaus ließen sich archäolog. fassen. In der Folgezeit wurden südl. des Barnimbaus ein weiteres Wohngebäude und Wirtschaftsgebäude errichtet. Bogislaw X. ließ im S des Areals das sog. »Große Haus« mit zwei Türmen aufführen, von dem Teile im heutigen Südflügel erhalten sind. An Baumaßnahmen unter seinem Sohn Barnim IX. erinnert eine Gedenktafel ausdem Jahre 1538, der an der bisher unbebauten Ostseite des Schloßareals einen neuen Flügel in Angriff nehmen ließ. Zudem sorgte er für die Wiederherstellung und den Ausbau des nach einem Brand 1530 in Mitleidenschaft gezogenen Großen Hauses. Als 1551 ein erneuter Brand den Wiederaufbau des Süd- und Ostfügels nötig machte und dieser längere Zeit in Anspruch nahm, schuf sich Barnim IX. in den 50er und 60er Jahren ganz in der Nähe mit dem Umbau des Kartäuserkl.s Gottesgnade zu einer Schloßanlage eine zweite Res. mit dem Namen Oderburg, die er als Alterssitz nutzte, welche aber schon unterseinen Nachfolgern als Res. keine Bedeutung mehr besaß. Seine heutige Gestalt erhielt der S.er Schloßkomplex im wesentl. während einer tiefgreifenden Um- und Ausbauphase unter Hzg. Johann Friedrich 1575-77 nach den Plänen des Baumeisters Wilhelm Zacharias. Bis auf den gerade erst wiederhergestellten Süd- und Ostflügel wurden sämtl. Vorgängerbauten einschließl. der Ottostiftskirche niedergelegt, um einer Neubebauung im Stil der ital. Renaissance Platz zu machen. Das Resultat war ein geschlossenes Ensemble um einen viereckigen, nach W beträchtl. erweiterten Hof. Die neu errichtete Schloßkirchemit der hzgl. Grablege und ihr Turm schlossen den Nordflügel im W ab, der zudem die Wohnräume des Hzg.s enthielt. Im Ostflügel befanden sich die Räume der Hzg.in und Zimmer für die Angehörigen des Hofes, im Westflügel Gästezimmer und Wirtschaftsräume, der Südflügel beherbergte Speise- u. a. repräsentative Räume. Der Schloßhof war von S zw. dem West- und Südflügel und durch den Nordflügel zu betreten. Hzg. Philipp II. ließ 1616 westl. des Westflügels, der nun zum Mittelflügel wurde, - nicht ganz parallel zu diesem - einen fünften Schloßflügel für seine umfangreichen Sammlungen errichten, der1619 unter seinem Bruder Franz fertiggestellt wurde, wovon eine Gedenktafel Zeugnis gibt. Zw. den beiden Flügeln entstand als zweiter Schloßhof der Münz- oder Kranichhof, der von N und S durch Tore zu betreten war. Ein fsl. Lustgarten bestand außerhalb der Stadtmauer. Kriegsschäden und verschiedene Umbauten v. a. in preuß. Zeit veränderten den Charakter des Schloßkomplexes, dessen Grundstruktur jedoch erhalten blieb. Der poln. Wiederaufbau der im Zweiten Weltkrieg stark zerstörten Anlage orientierte sich am Baubefund der späten Herzogszeit. Heute ist das Schloß ein kulturelles Zentrum miteiner Vielzahl von Einrichtungen. Im Ostflügel ausgestellt sind u. a. eine Reihe von Prunksarkophagen der letzten Greifenhzg.e, die aus der Schloßkirche geborgen und restauriert wurden.

Quellen

Philipp Hainhofers Reise-Tagebuch enthaltend Schilderungen aus Franken, Sachsen, der Mark Brandenburg und Pommern i. Jahre 1617, hg. von Friedrich Ludwig von Médem, Stettin 1834 (Baltische Studien, 2,2). - Pommersches Urkundenbuch, 1-11, 1881-1990.

Bahr, Ernst/Conrad, Klaus: Stettin, in: Handbuch der historischen Stätten Deutschlands, 12, 1996, S. 280-287. - Białecki, Tadeusz: Historia Szczecina, Breslau 1992. - Białecki, Tadeusz: Stettin auf alten Abbildungen, Stettin 1995. - Braun, Wilhelm: Stettin, in: Deutsches Städtebuch, 1: Norddeutschland, 1939, S. 235-242. - Chronik der Stadt Stettin, hg. von IlseGuden-Lüddeke, Leer 1993. - Dzieje Szczecina, hg. von Gerard Labuda, Tl. 2: Dzieje Szczecina wiek x - 1805, 2. Aufl., Warschau/Posen 1985. - Friedeborn, Paulus: Historische Beschreibung der Stadt Alten Stettin in Pommern, Alten Stettin 1613. - Herzogliche Krypta. Das Schloss der pommerschen Herzöge Szczecin, Stettin o. J. - Kochanowska, Janina: Das Herzogsschloß in Stettin, Stettin o. J. - Kratz 1865, S. 376-412. -Lemcke, Hugo: Das königliche Schloß in Stettin, Stettin 1909 (Die Bau- und Kunstdenkmäler des Regierungsbezirks Stettin, 14.1). - Lorentz, Friedrich: Slawische Namen Hinterpommerns (Pomorze Zachodnie), bearb. von Friedhelm Hinze, Berlin 1964, S. 117. - Pape, Günter: Über die Anfänge der Burgsiedlung Stettin, in: Baltische Studien NF 56 (1970) S. 7-16. - Piskorski, Jan M./Wachowiak,Bogdan/Włodarczyk, Edward: Stettin. Kurze Stadtgeschichte, Posen 1994. - Piskorski, Jan M.: Art. »Stettin«, in: LexMA VIII, 1997, Sp. 140-142. - Das Schloß der Pommernherzöge in Szczecin, Stettin 1992. - Stettin: Ansichten aus fünf Jahrhunderten, Regensburg 1991 (Aspekte ostdeutscher Topographie, 4). - Völker, Ernst: Stettin. Daten und Bilder zur Stadtgeschichte, Leer 1986. - Wehrmann 1911. - Zamek książęcy w Szczecinie, Stettin 1992.