Der Kaiser hatte immer das letzte Wort

Projekt "Byzantinische Rechtsquellen" geht zuende

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Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Abschlusstagung besichtigen die griechischen Rechtshandschriften an der Universität Sofia. Foto: Jens Peter Laut

Beinahe ein halbes Jahrhundert lang ist in Frankfurt die Byzantinische Rechtsgeschichte erforscht worden. Mit einer Tagung in Sofia wurde das Forschungsprojekt „Edition und Bearbeitung byzantinischer Rechtsquellen“ offiziell abgeschlossen.

„In Deutschland ist die institutionalisierte byzantinische Rechtsgeschichte damit beendet. An keiner hiesigen Universität oder Akademie wird dieses Fach weiterhin betrieben“, stellte Prof. Wolfram Brandes fest, der das Vorhaben der Göttinger Akademie zeitweise geleitet und es bis zuletzt betreut hat. Das Byzantinische Reich, oft auch verkürzt „Byzanz“ genannt, war aus der östlichen Hälfte des Römischen Reiches hervorgegangen und endete im Jahr 1453 mit der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen. Die Bedeutung dieses über tausend Jahre währenden Reiches, das sich in seiner Blütezeit von Italien und der Balkanhalbinsel bis zur Arabischen Halbinsel und nach Nordafrika ausdehnte, kann für den Westen, für das heutige Griechenland, den Osten Europas und die benachbarte islamische Welt nicht hoch genug eingeschätzt werden. Das gilt auch und vor allem für das damalige Recht, da es mit einer Fülle von Lebensbereichen verbunden war und entsprechend viel über die damalige Epoche verrät. Es war römisches Recht in griechischer Sprache und insofern auch für die Rekonstruktion der römischen Verhältnisse im Altertum von erheblicher Bedeutung.

Das Forschungsprojekt „Byzantinische Rechtsquellen“ wurde von dem Jura-Professor Dieter Simon konzipiert, bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1974 eingeworben und viele Jahre lang geleitet. Seit 1990 wird das Vorhaben über das Akademienprogramm gefördert. 46 Jahre lang hat es die Geschichte des byzantinischen Rechts und insbesondere seine Quellen intensiv erforscht, zahlreiche Publikationen herausgegeben und eine umfangreiche Sammlung von verfilmten Handschriften des byzantinischen Rechts hinterlassen, die in einem klimatisierten Raum der Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie in Frankfurt lagern und der Forschung auch weiterhin zugänglich sind. „Nahezu alle wichtigen Handschriften mit byzantinischen Rechtstexten stehen dort zur Auswertung bereit“, sagt Brandes. Sofort nach dem Beginn der Arbeiten in den 1970er Jahren habe man angefangen, die relevanten griechischen Handschriften in Form von Mikrofilmen anzulegen. Zugleich seien diese einzigartigen Bestände in einem umfassenden Repertorium erschlossen worden – nicht nur als Grundlage für eigene Arbeiten, sondern auch als essentielles Hilfsmittel für die internationale Forschung.

„Mit unserem heutigen Rechtssystem hatte des byzantinische nur sehr wenig zu tun“, gibt Brandes zu bedenken. Der Kaiser habe, sofern er es wollte, immer das letzte Wort gehabt. „Er konnte Urteile aufheben oder verhängen, zum Beispiel die Todesstrafe.“ Das Gerichtswesen habe auch keine Rechts- und Staatsanwälte gekannt, das seien Erfindungen der Neuzeit. In einer Zeit, in der die meisten Menschen Analphabeten gewesen sind, gab es aber laut Brandes sogenannte notarii, die man für Verträge brauchte. „Unser Problem war häufig, dass wir zwar die einschlägigen Rechtsbücher, Gesetze usw. kennen, aber kaum die wirkliche Praxis“, sagt der Byzantinist. Aber so viel steht für ihn fest: Das System sei sehr korrupt gewesen, was jeder gewusst habe.
Was sich in vielen juristischen Handschriften widerspiegelt, ist die Tatsache, dass in Byzanz eine Trennung von weltlichem und kirchlichem Recht in der Praxis kaum möglich war. So achtete die Kirche beispielsweise sehr auf die Ehe, vor allem darauf, dass es nicht zu enge Verwandtschaftsbeziehungen gab, und verschärfte dafür auch immer wieder die Vorschriften, wie Brandes erläutert. Seiner Meinung nach habe das mit der Entstehung großer Adelssippen zusammengehangen, die enge Ehebündnisse eingehen wollten, um das Vermögen in der Familie zu behalten.

Auf der Tagung in Sofia hob auch der Byzantinist Prof. Peter Schreiner, der korrespondierendes Mitglied der Göttinger Akademie ist, die Bedeutung des Rechts für ein Verständnis und die Struktur des byzantinischen Reiches hervor. „Die Rechtsquellen bilden die Grundlagen für unser Wissen von Staat und Gesellschaft“, sagte er. Vor allem die vom Kaiser unterzeichneten Urkunden, die sich auf die Belange des Staates gegenüber auswärtigen Herrschern und fremden Staaten bezögen, seien für ein Studium der byzantinischen Außen-politik wesentlich. Als „wichtigste wirtschaftsgeschichtliche Einzelquelle“ nennt er das sogenannte Eparchenbuch, das die Aufgaben des Statthalters von Konstantinopel im 10. Jahrhundert beschreibt. „Ohne diese Rechtsquelle bliebe die Struktur von Handel und Handwerk in Konstantinopel weitgehend unbekannt“, meint Schreiner.  Eine umfassende Vorstellung des Steuersystems, auf dem der byzantinische Staat basierte, ergab sich Schreiner zufolge hingegen erst in einer „mühevollen Zusammenschau“ von Quellen.
Von erheblicher wissenschaftlicher Bedeutung ist nach Angaben von Brandes die Edition der sogenannten Peira, einer Sammlung von Entscheidungen des kaiserlichen Richters Eustathios Rhomaios aus dem Anfang des 11. Jahrhunderts, die, von Dieter Simon und Roderich Reinsch ediert, im kommenden Jahr erscheinen wird. „Es ist die einzige Quelle für die byzantinische Rechtspraxis und daher außerordentlich bedeutsam“. alo